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  • Rigoletto an der Staatsoper Berlin

Klingt fast wie aus dem Flachbildfernseher!

Reiswaffeln schmuggeln oder Hummercarpaccio? Ein Howto für den Opernbesuch: »Rigoletto« an der Staatsoper Berlin

  • Maximilian Schäffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Lecker, lecker! Die Staatsoper Unter den Linden zu Berlin servierte Hummercarpaccio zu 21,50 Euro. Um sich am lauwarmen Krustentier zu laben, musste man folglich geeignete Betuchtheit oder emsige Sparsamkeit aufbringen. Dabei ist die aktuelle »Rigoletto«-Inszenierung des Bartlett Sher vor allem hervorragend geeignet, um junge Menschen, sprich Schulklassen und Erstsemesterstudenten der Vergleichenden Kulturwissenschaft, zu quälen. Wer noch wenig mit dem Medium Oper konfrontiert wurde, dem wird eventuell der interpretatorische Halt entgegenkommen, den eine konservative Bühnenbearbeitung bietet. Da muss man sich nicht lange fragen, was das soll, wenn auf einmal weiße Mäuse oder grüne Gnome durch des Sachsenzwergs Lohengrin wuseln (wie zuletzt in Bayreuth). Wenn das Hirn noch wachsen muss, will man nicht mit regietheatraler Abstraktion überfordert werden.

Obszöne Freiheiten bezüglich der nach Victor-Hugo-Vorlage komponierten Verdi-Oper erlaubt sich der US-amerikanische Regisseur folglich nicht. Das Drama spielt am Hof des französischen Monarchen Franz I. (1494 - 1547) - dementsprechend hat man Bühnenbild und Kostüme gestaltet: historisierend, ein bisschen prunkig, ein paar Säulen und Gemächer. Nur die Wände hat man mit George-Grosz-Bildern tapeziert. Dessen Gemälde sorgen für den bildungsbürgerlichen Kontext und historischen Holismus. Im Programmheft erklären Kunsthistoriker die Werke der klassischen Moderne vorikonographisch, ikonographisch und ikonologisch. So lernen die Schüler neben dem Interpretationsmodell nach Panofsky auch noch, was die Grosz-Deko eigentlich soll: »Dekadenz und Machtmissbrauch« - dieser Sumpf ist zeitlos, deswegen ist alles Leid ein großes Ganzes. Analogie im Opernhaus: Eine blinde Besucherin wird vor der Vorstellung aufgefordert, doch endlich ihren verdammten Taststock zusammenzustecken. Der gleiche Spießer piesackt vor ihm stehende Gäste mit dem Hinweis, er würde auch gerne vor Beginn gut sehen. Schließlich hat er bezahlt.

Mangels Einfällen auf der Bühne kann man mit Sichteinschränkung leben. Im zweiten oder dritten Rang sind seitlich selten alle Plätze besetzt. Diese Sitze sind vergleichsweise billig (30 Euro) und bieten Raum zum Ausstrecken und Abchillen, fernab der angespannten Disziplinübung im Parkett. Auch sind diese Bereiche des Hauses vorzüglich geeignet, um günstig erworbene Lebensmittel hineinzuschmuggeln. Der Schüler lernt: Im Opernhaus ist Essen außerhalb der teuren Pausensituation nicht erwünscht. Das hat wirtschaftliche und akustische Gründe. Schmatzen und Knuspern stören Musiker wie Publikum. Deswegen muss sich genau überlegt werden, wie und was man zum illegalen Verzehr einführt. Chips und Salzstangen sind lautstärkebedingt völlig ungeeignet. Bei Würsten beispielsweise ist darauf zu achten, zuvor die knackige Pelle zu entfernen. Labbriges Brät hingegen ist stumm. Veganer haben es besonders schwer: Eine Diät aus frischem Gemüse und Reiswaffeln ist hinsichtlich Schalldruckpegel inakzeptabel. Bei Getränken sollte nach Möglichkeit auf Kohlensäure verzichtet werden. Flaschen lassen sich am besten in der Hose verstecken. Dies führt beim Mann zur optischen Aufwertung des Schrittbereichs, bei der Frau unter Umständen zu angenehmen Stimulationsmomenten. Sicherheitsbedingt sollte auf Glasflaschen unter allen Umständen verzichtet werden!

Kennt man sämtliche Tricks und lässt sich nicht erwischen, hat man es auch mit kleinem Geldbeutel gemütlich. Der unbedarfte Mensch hat nun seine Freude an der vielleicht besten Komposition Guiseppe Verdis. Das »La Donna È Mobile« kennt fast jeder aus der Pizzawerbung, und der sterile Klang der Staatsoper lässt es fast wie aus dem Flachbildfernseher klingen. Dirigent Andrés Orozco-Estrada macht seine Sache gut, die Sänger auch. Jetzt muss man nur noch über den gewöhnungsbedürftigen Duktus der italienischen Oper hinwegkommen, sämtliches Geschehen in schmucklosen Selbstkommentar zu verpacken. Das heißt, wenn jemand stirbt, singt er: »Ich sterbe!« Und der Chor antwortet: »Er stirbt!« Wenn jemand traurig ist, singt er: »Ich trauere!« Und der Chor antwortet: »Er trauert!« Das als Kunstform zu akzeptieren, lernt der Schüler unter Umständen. Man muss den Modus, in der Oper über die vielen Dämlichkeiten hinwegzusehen, erst einmal einstudieren. Dann ist es meistens eigentlich ganz schön.

Nächste Aufführungen: 26.6., 29.6.,17.10.

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