nd-aktuell.de / 02.07.2019 / Kultur / Seite 13

Spiel und Ernsthaftigkeit am Theater

Am Theater an der Parkaue in Berlin soll es Vorfälle rassistischer und sexistischer Diskriminierung gegeben haben

Johanna Treblin und Ulrike Wagener

Gesellschaftskritik oder pure Ästhetik? Die Ansprüche der Theater klaffen in dieser Frage auseinander. Sicher ist, dass auch an manchen Häusern, deren Inszenierungen sich explizit mit Machtstrukturen auseinandersetzen sollen, unter Bedingungen geprobt wird, die nicht mit dem übereinstimmen, was das Publikum später sieht. Das Maxim-Gorki-Theater etwa hat dies in dem Stück »Yes but No« aufgenommen und sexualisierte Gewalt auch im Theaterbetrieb thematisiert. Immer wieder berichten Theaterschaffende von cholerischen Regisseuren, körperlichen Übergriffen und psychischen Verletzungen. Seit einiger Zeit gibt es eine Anti-Rassismus-Klausel speziell für Theater, die es Betroffenen ermöglicht, sich gegen rassistische Diskriminierung zu wehren.

Was können aber solch freiwillige Verpflichtungen ausrichten? 2018 feierte im Theater an der Parkaue in Berlin-Lichtenberg das Stück »Die Reise um die Erde in 80 Tagen« Premiere. In der »Berliner Morgenpost« wurde das Stück gelobt - sowohl das Schauspiel des »rein männlichen Quintetts« als auch die Inszenierung, in der Regisseur Volker Metzler die kolonialistische Weltsicht Jules Vernes konterkariere. Doch aktuelle und ehemalige Mitarbeiter*innen erzählen dem »nd« eine andere Geschichte - einige von ihnen haben das Theater mittlerweile aufgrund der, wie sie sagen, »unzumutbaren Arbeitsbedingungen« verlassen. Das Stück wurde nach einem Jahr abgesetzt - offiziell, weil sich ergeben habe, »dass die gezeigte Bearbeitung der europäischen Kolonialgeschichte teilweise ungenau bzw. undifferenziert ist und damit missverständlich sein kann«, so Intendant Kay Wuschek zum »nd«.

Die Inszenierung war nicht mit einer ausschließlich männlichen Besetzung geplant. Doch eine afrodeutsche Schauspielerin verließ die Produktion kurz vor der Premiere im April 2018. Sie will sich und ihre Familie schützen. Ihr Name soll daher so selten wie möglich im Zusammenhang mit diesem Vorfall in den Medien auftauchen. Dem »nd« erzählt sie, dass sie sich während der Proben ständig rassistischen Äußerungen ausgesetzt sah. Der Regisseur habe sie etwa aufgefordert: »Sing da mal was, das könnt ihr doch, ihr N....« Bei einer telefonischen Krankmeldung habe er zu ihr gesagt: »Du klingst wie ein N.... im Stimmbruch!« N.... ist lediglich für diesen Artikel abgekürzt, der Schauspielerin zufolge hat der Regisseur das Wort ausgesprochen.

Trotz ihrer von Beginn an geäußerten Bitten, das Wort nicht zu verwenden - sie fühle sich dadurch gedemütigt -, sollen fast täglich Witze mit dem N-Wort gefallen sein. »Ich habe mehr eingesteckt, als ich sollte«, erzählt sie über ein Jahr später dem »nd«. »Aber dann hat mein Körper für mich gesprochen: Irgendwann bin ich jeden Morgen mit Magenkrämpfen ins Theater gegangen, und schließlich hat meine Stimme versagt.« Nach zwei Zusammenbrüchen und als auch Gespräche mit Kollegium und Regisseur keine Veränderung bewirken, verlässt die Schauspielerin schließlich das Theater.

Kay Wuschek hat sich im April 2019 - gut ein Jahr nach den Vorfällen - schriftlich bei der Schauspielerin entschuldigt. Er bestätigt auf Nachfrage des »nd«, dass die Gastschauspielerin im Probenprozess rassistisch diskriminiert wurde. Der Regisseur Volker Metzler hingegen erklärt - als Privatperson -, dass das N-Wort zwar im Beisein der Schauspielerin gefallen sei, aber nie an sie adressiert, sondern immer nur als Teil des Stücks und in Auseinandersetzung mit diesem. Aus seiner Sicht konnte die Schauspielerin diese Ebenen nicht auseinanderhalten und habe frühere Rassismuserfahrungen auf die künstlerische Arbeit am Theater übertragen. Metzler ist seit März nach Angaben Wuscheks »aufgrund einer öffentlichen politischen Äußerung, die nicht der Haltung des Theaters entspricht«, beurlaubt. Mittlerweile sei »in beiderseitigem Einernehmen« ein Auflösungsvertrag zu Ende August unterschrieben.

Es ist Zufall, dass fast zur gleichen Zeit zwei Diversitätsprogramme am Theater an der Parkaue angelaufen sind: eines des von der Senatsverwaltung für Kultur geförderten Projektbüros Diversity Arts Culture (DAC) und eines im Rahmen des Projekts »360° - Fonds für Kulturen der neuen Stadtgesellschaft« von der Kulturstiftung des Bundes. Die Programme haben das Ziel, die gesellschaftliche Vielfalt auch in den Strukturen des Theaters »stärker abzubilden« (DAC) bzw. die »kulturelle Vielfalt« im Haus zu »verankern« und Strukturen für eine »kulturell vielfältige Mitarbeiterschaft« zu gestalten (360°).

Das DAC-Programm sollte bis Ende 2019 laufen, ist nun allerdings »einvernehmlich ausgesetzt und soll zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgenommen werden«, teilt die Senatsverwaltung dem »nd« mit, »auch mit dem Ziel, auf diese Weise notwendige Veränderungen einschätzen und bewerten zu können«. Das Projektbüro DAC selbst spricht von einem »sensiblen Prozess«, der derzeit »umstrukturiert« werde. Das DAC habe sich für eine »eher punktuelle Begleitung« entschieden. Das Programm solle nicht verlängert werden. Viel näher will sich das Projektbüro dazu nicht äußern.

Warum? In Gesprächen mit aktuellen und ehemaligen Mitarbeiter*innen, die das »nd« dazu befragt hat, sagt jemand: »Was damals passiert ist, war besonders krass. Das war aber nicht das Einzige.« Ihrer Ansicht nach waren es generelle Umstände am Theater, die diesen Umgang mit der Schauspielerin und die aus ihrer Sicht mangelhafte Aufarbeitung des Vorfalls erst ermöglichten: Zum einen lasse der Intendant Wuschek Konflikte lieber »laufen«, statt sich dafür einzusetzen, diese konstruktiv zu lösen. Zum anderen hätten seine Aussagen und sein Verhalten in bestimmten Situationen gezeigt, dass auch er dem Ziel von mehr Diversität am Theater nicht viel abgewinnen könne. Zwar habe sich das Theater selbst um die genannten Diversitätsförderungen beworben. Unterstützt habe Wuschek die Programme nicht. Als Beispiel führen die Mitarbeiter*innen die Auftaktveranstaltung zur neuen Spielzeit im August 2018 an: Dort habe er alle neuen Kolleg*innen vorgestellt und ihnen Blumen überreicht. Eine für das 360°-Projekt angestellte »Diversitätsagentin« sei dem Team jedoch nicht vorgestellt worden. Stattdessen habe Wuschek vor der versammelten Belegschaft gesagt, dass wir in »schweren Zeiten« leben, in denen es »nicht mehr möglich sei, dass ein Schwarzer einen Indianer spiele, ohne dass man als Rassist diffamiert werde, oder dass ein Nicht-Schwuler einen Schwulen spiele«. Anschließend habe er der Agentin das Mikrofon überreicht, damit sie einen Workshop ankündigen konnte, den sie leitete - und an dem Wuschek nicht teilnahm.

Diesen Auftritt bestätigen zwei Berichte von Mitarbeiter*innen an die Senatsverwaltung für Kultur vom November 2018, die »nd« vorliegen. Wuschek selbst beantwortete die schriftlich nachgereichte Frage vor seinem Urlaub nicht mehr.

Auf einen ersten Fragenkatalog des »nd« hin - für ein direktes Gespräch war er nicht verfügbar - erklärte er zum Thema Diversität am Theater: »Bereits seit 2005 war für das Theater an der Parkaue der Begriff kulturelle Vielfalt Zentrum seiner Arbeit.« Als Mitglied der Intendantengruppe des Deutschen Bühnenvereins habe er an der Entwicklung des »Wertebasierten Verhaltenskodexes zur Prävention von sexuellen Übergriffen und Machtmissbrauch« mitgewirkt.

Auf Fragen zu seinem eigenen Umgang mit den Diversitätsprogrammen am Theater äußert er sich nicht. Er erklärt, »in einer sich wandelnden Gesellschaft Neuland zu betreten, kann den einen oder die andere auch vor unerwartete Herausforderungen stellen«. Für ihn selbst bleibe dieser Prozess eine Herausforderung. »Die spielerische Beschäftigung mit Herkunft, Zuschreibungen oder Identitäten« ergebe »ein kreatives Erkundungsfeld, öffnet Räume und führt zu Dialogen«.

Für die Mitarbeiter*innen, mit denen »nd« gesprochen hat, geht es aber nicht nur um eine »spielerische Beschäftigung«, sondern um eine »ernsthafte Auseinandersetzung und Verantwortungsübernahme«. Eine solche soll Wuschek auch in seiner sonstigen Arbeitsweise vermissen lassen. Das, so kritisieren die befragten Mitarbeiter*innen, führe dazu, dass andere Leute im Haus Zuständigkeiten für sich reklamieren oder Arbeitsanweisungen von sich weisen, weil sie wissen, dass es ohne Konsequenzen bleiben wird. In dieser Atmosphäre gedeihe auch Sexismus: Ältere männliche Mitarbeiter sollen beispielsweise zu jungen weiblichen Mitarbeiterinnen gesagt haben, sie säßen nur auf ihren »hübschen Ärschen«. In den Berichten an die Senatsverwaltung heißt es zudem, Volker Metzler habe einmal seine Hand auf die einer Mitarbeiterin gelegt, um zu zeigen, dass er kalte Hände habe, sie aber erst nach mehreren Sekunden weggenommen. Bei einer Sitzung habe er einmal seinen Gürtel aus der Hose gezogen, und gesagt, man solle keine Angst haben, seine Hose werde er nicht ausziehen. »Für mich und andere Personen war dies eine sehr unangenehme und grenzüberschreitende Situation«, heißt es dazu in einem der Berichte. Metzler erklärt dem »nd«, er könne sich an die konkreten Vorfälle nicht erinnern. Es liege ihm fern, Menschen »in Verlegenheit bringen zu wollen, geschweige denn sie sexuell zu belästigen«. Seine Position als Regisseur habe er nicht ausgenutzt.

Wuschek wird eine cholerische Art nachgesagt - Wutausbrüche, plötzliches Anschreien von Kolleg*innen. Einmal soll er gegenüber einem Schauspieler handgreiflich geworden sein. Ein dritter dem »nd« vorliegender Bericht von Mitarbeiter*innen an die Senatsverwaltung schließt: »Kay Wuschek führt das TAP mit einem unvorhersehbaren, cholerischen Leitungsstil, ohne Ziel- und Strategievorgaben, fördert mit subtilem Machtmissbrauch ein Betriebsklima der permanenten Verunsicherung.« Der Intendant will sich zu solch »allgemeinen Vorwürfen« nicht äußern, sagt aber, im Theateralltag könne es »auch seltene Momente geben, wo das Heben der Stimme gelegentlich vonnöten und hilfreich ist und gewünscht wird«.

In Reaktion auf den Vorfall um die Schauspielerin führte die Senatsverwaltung für Kultur im Oktober 2018 Gespräche sowohl mit ihr als auch dem Intendanten. Außerdem wandte sie sich mit einem Brief an alle institutionell geförderten Kultureinrichtungen. Unter der Überschrift »Machtmissbrauch in Kultureinrichtungen verhindern« macht die Kulturverwaltung deutlich, dass Machtmissbrauch, Diskriminierung und sexuelle Belästigung nicht zu tolerieren sind. Das Schreiben und ein beigefügter Leitfaden zum Umgang mit Machtmissbrauch sollte allen Mitarbeiter*innen zur Kenntnis gegeben werden. Das scheint an der Parkaue nicht geschehen zu sein - und mit dem Appell scheint es auch nicht getan.