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Zu kurz gegriffen

Zivilgesellschaftliche Initiativen kritisieren SPD-Papier zur Aufarbeitung des Kolonialismus

  • Vanessa Fischer
  • Lesedauer: 2 Min.

Hundert Jahre ist es nun her, dass der deutsche Kolonialismus 1919 formal endete. »Eine kritische Auseinandersetzung steht jedoch bis heute aus«, sagt der tansanische Aktivist Mnyaka Sururu Mboro vom Bündnis Decolonize Berlin. Zwar hat das Abgeordnetenhaus nach jahrelangem Drängen verschiedener Nichtregierungsorganisationen im April die Entwicklung eines gesamtstädtischen Aufarbeitungs- und Erinnerungskonzepts beschlossen. Was überfällig war, wie Mboro meint: »Berlin war schließlich über 250 Jahre eine Kolonialmetropole. Hier wurden 1884/85 während der Berliner-Konferenz die Voraussetzungen für die Aneignung afrikanischer Gebiete, Kulturobjekte und menschlicher Gebeine gelegt.« Bundesweit gibt es bisher jedoch kein Konzept zur Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus.

Genau das forderte nun die SPD-Fraktion in einem Positionspapier. Opferverbände und Aktivist*innen wie Mboro begrüßten die Initiative der SPD zwar. »Das Positionspapier sollte aber noch überarbeitet und ergänzt werden«, so Mboro.

So wird etwa das größte deutsche Kolonialverbrechen, der Völkermord an den Ovaherero und den Nama, mit keinem Wort erwähnt. Deutsche Soldaten hatten 1904 bis 1908 im heutigen Namibia etwa 80 000 Herero und bis zu 20 000 Angehörige der Nama umgebracht. Der erste Genozid des 20. Jahrhunderts.

2012, noch aus der Opposition heraus, hatte die SPD eine offizielle Anerkennung des Völkermords und eine Entschuldigung gegenüber den Nachfahren der Opfer gefordert. Dazu kam es bis heute nicht. Und das, obwohl die SPD nun seit sechs Jahren das Auswärtige Amt führt, das mit der außenpolitischen Aufarbeitung des Völkermords betraut ist.

»Die SPD muss mit den regierungsunabhängigen Ovaherero und Nama verhandeln«, sagt Mboro. Denn entgegen der Forderung des Positionspapiers nach stärkerer Einbindung von zivilgesellschaftlichen Opfergruppen hat das Auswärtige Amt bisher nur mit der namibischen Regierung Verhandlungen geführt. Deren Vertreter*innen sind jedoch nicht direkt vom Genozid betroffen.

Daneben fehlt in dem SPD-Papier laut Mboro auch eine grundsätzliche Einordnung von Kolonialismus als einer auf Gewalt und Rassismus basierenden Unrechtsherrschaft. Es reiche nicht aus, von gelegentlichen kolonialen Verbrechen zu reden.

Das Bündnis Decolonize Berlin fordert in diesem Zusammenhang ein Recht der Kolonisierten auf Rückgabe der Körperteile ihrer Ahnen sowie der geraubten Kultur- und Naturgüter. Dafür müsse ein verbindliches Rückgabegesetz realisiert werden. Wie notwendig das ist, hat sich in der Hauptstadt vor allem in den jüngsten Debatten um das Humboldt-Forum mit seinen Sammlungen kolonialer Raubgüter gezeigt.

»Bundesweit hat Berlin sicherlich den besten Aufschlag gemacht«, beurteilt Christian Kopp von der Initiative Berlin Postkolonial das Aufarbeitungskonzept der Hauptstadt. Ein begrüßenswertes bundesweites Konzept sei mit der großen Koalition hingegen nur schwer realisierbar.

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