nd-aktuell.de / 11.07.2019 / Kultur / Seite 17

Das Natürliche schlechthin

»Unsere große kleine Farm« und »Monowi, Nebraska«: Zwei völlig unterschiedliche Filme handeln von Natur

Stefan Gärtner

Dass die zeitgenössische Landlust sich nicht ohne W-Lan, guten Handyempfang und hochgelegtes Kfz denkt, soll niemanden bekümmern, der weiß, dass auch die Sehnsuchtswälder der Romantik bereits Wirtschaftswälder waren und die romantische Ironie sich der Einsicht verdankt, dass nichts Natur sein kann, was Arrangement ist. Kunst kann sich ihr nähern, sie gar erreichen, aber eben als Kunst.

Zwei kalifornische Stadtmenschen, eine Foodbloggerin und ein Naturfilmer, retten einen Hund vorm Tierheim; und weil der Hund, alleingelassen, das Mietshaus zusammenkläfft und ohnehin der Traum besteht, eine Öko-Farm zu bewirtschaften, wird aus der Not ein Plan, und John und Molly kaufen 80 Hektar Land, das nach Jahrzehnten intensiver Landwirtschaft ökologisch tot ist. Mithilfe eines Fachmanns (oder eher Gurus), zwei Angestellten und einem Haufen junger Freiwilliger aus aller Welt rekultivieren sie die Wüste und bringen, nach vielen Hindernissen, eine Farm zum Blühen, die, auch wenn der Begriff nicht fällt, nach den Grundsätzen der Permakultur funktioniert (man muss es auch nicht so nennen, es sind ja sehr, sehr alte Grundsätze), mithin so, dass geschlossene Kreisläufe entstehen und Vielfalt für Nachhaltigkeit sorgt. Auf Kunstdünger wird verzichtet, und wenn das frische Grün tonnenweise Schnecken anzieht, freuen sich die Enten, für die’s ein Festmahl ist, und düngen dabei die Obstbäume.

Ein Märchen, das keinen Hehl daraus macht, dass es Bilderbuchvorstellungen von einer Bilderbuchfarm folgt und jenen Idealismus bedient, den, wer immer schon auf dem Land lebt, als städtisch (und gewissermaßen künstlich) abtun mag; und es ist die Frage, auf welche Weise man es dem Film anrechnen will, dass er sich stur nach den gängigen Showregeln inszeniert und mit Slowmotion, Hochgeschwindigkeitskamera und suggestiven Überblendungen die wiedergeborene Natur so verkauft, dass es für Leute konsumierbar wird, die sich allenfalls in der zweiten Natur noch irgend zu Hause fühlen. Man kann finden, er sei darin bloß ehrlich, denn es ist wahrscheinlich nicht allzu steil anzunehmen, seine Vermarktung (und also seine Vermarktbarkeit) sei im Farmbudget fest eingeplant gewesen, und eine Überblendung ist ja nicht nur Suggestion und Kitsch, sondern setzt auch genau die symbiotische, freilich arrangierte Harmonie ins Bild, die das Ziel von ökologisch integrierter Landwirtschaft ist. Doch das einander Ähnliche ist Kulturindustrie, und der Film, ob er Natur nun äfft oder sie für seine dramatischen Bedürfnisse zurichtet, macht Natur zum Objekt jener forschen Unterwerfung, für deren Aufhebung (genauer: Einhegung) er doch eintritt. Aber da auch eine Biofarm von ihren Erträgen lebt, geht es ohnehin um Natur unter Marktbedingungen, und dann stimmt’s direkt wieder, zumal da der Markt unter Naturbedingungen, der jenseits des eigenen Ideal-Obstgartens herrscht, im Film bloß dadurch vorkommt, dass er nicht vorkommt. Muss er auch nicht, als das Natürliche schlechthin.

Wer spätestens beim Tumbleweed, das der Wind durchs Bild weht, über das dialektische Verhältnis von Kunst und Natur ins Grübeln geraten ist, soll sich Lilo Mangelsdorffs »Monowi, Nebraska« ansehen, in allem das Gegenteil von »Unsere große kleine Farm«. Im Norden des US-Bundesstaats Nebraska befindet sich die Ortschaft Monowi, die genau eine Einwohnerin hat, die heute 85-jährige Elsie Eiler, die ebenda einen Diner betreibt, aber auch Bürgermeisterin, Sheriff und Stadtkämmerin ist. Der Ort ist über die Jahrzehnte ausgestorben, die Natur wuchert ihn langsam, aber bestimmt zu, und mittendrin sitzt Elsie, brät für die Leute aus der Umgebung, die eher Trump als Clinton gewählt haben dürften, Hamburger und ist die Granny ehrenhalber. Die größte Suggestion, die der karge Film sich erlaubt, ist der tote Baum im hüfthohen, sich im Wind wiegenden Gras, wie Mangelsdorff auch sekundengenau mit der Verhärmtheit und kompletten Designferne dieser sterbenden Welt haushaltet und an den Stillleben aus Dingen, aus denen der Tauschwert schon vor Jahrzehnten herausdiffundiert ist, genau so lange Gefallen findet, bis die Grenze zur Sentimentalität erreicht wird. Hier sind die Dinge, wie sie sind - man möchte kühn werden und behaupten: Hier sind die Dinge an sich -, und der Gedanke berührt eigentümlich, dass diese Welt aus abblätterndem Folienfurnier, Mast-Hackfleisch, Bierdosen und Papptellern auf ihre Weise (und jedenfalls aus dem Augenwinkel Mangelsdorffs) viel natürlicher - organischer - ist als die mit hohem Aufwand gestemmte, reklamesk inszenierte Biofarm-Natürlichkeit Kaliforniens. Ein Gedanke, der an jenem Ressentiment siedelt, das die Erfolgsautorin Dörte Hansen mit ihren die dörflichen Somewheres gegen die urbanen Öko-Anywheres verteidigenden Blut- und Boden-Bestsellern bedient, ressentimental aber darum nicht ist, weil die Umwelt des Mikrosystems von Monowi nur in der Müllabfuhr oder dem Biertruck Gestalt gewinnt. Politik, sagt Elsie, ist das, was man aushalten muss, und wenn sie, Elsie, mal nicht mehr ist, ist es mit Ort und Diner vorbei, denn für die improvisierte Datschenküche erteilt kein Gesundheitsamt eine Genehmigung mehr.

Allabendlich vor Ladenschluss, meist wird es spät, stellt Elsie den Kalender einen Tag weiter. »Ich bin vollkommen glücklich da, wo ich bin. Ich habe nie besonders gern gekocht. Weil es aber das ist, was ich hier tue, bin ich damit nun glücklich. Und das bin ich wirklich.« Und ob das nun ein völlig falscher (weil Kramp-Karrenbauer’scher) Satz ist oder ein völlig richtiger, gleichsam naturgemäßer: »Das Schöne an der Natur ist gegen herrschendes Prinzip wie gegen diffuses Auseinander ein Anderes; ihm gliche das Versöhnte« (Adorno, Ästhetische Theorie), muss gar nicht recht entschieden werden, denn der Wind weht und das Gras wächst, und auch Monowi, Nebraska, wird in den großen Kreislauf zurückkehren.

»Unsere große kleine Farm«, USA 2019. Regie: John Chester; Darsteller: John Chester, Molly Chester. 92 Min.

»Monowi, Nebraska«, Deutschland 2019. Regie und Drehbuch: Lilo Mangelsdorff. 80 Min.