Pornos haben das Verhältnis zu meinem Körper kaputt gemacht

Unser Autor schaut keine Mainstream-Pornos mehr - und fühlt sich damit wohler

  • Fikri Anıl Altıntas
  • Lesedauer: 6 Min.
Pornographie: Pornos haben das Verhältnis zu meinem Körper kaputt gemacht

Es ist 2:16 Uhr. Ich wollte vor drei Stunden schon eingeschlafen sein. Doch wie so oft stecke ich fest. Ein kurzer Blick auf mein Instagram-Account, zwei YouTube-Videos und drei Klicks später lande ich wieder auf xhamster.com. Mein Blick schärft sich und ich scrolle durch die aktuellen Videos. Das übliche: »Hot brunette gets fucked from behind«, »A christmas gift heʼll never forget«, »Blonde girl loves cumshots on her face«.

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Trotzdem nichts gefunden. Wieder auf die Lieblingskategorie geklickt. Das ist er. Endlich. Fünf Minuten für mich. Konzentriertes Starren. Fertig. Der kurze Moment der Befriedigung erfüllt mich, aber die Regelmäßigkeit dieser Augenblicke macht etwas mit mir. Ich suchte einen kurzen Moment für mich. Was ich fand: ein zerstörtes Verhältnis zu mir, meinem Körper und der Angst, so zu lieben, wie ich das wollte.

Eine zur Routine verkommene Bestätigung

Seitdem ich 14 Jahre alt bin, ist Masturbation Teil meines Lebens. Sobald mich Langeweile überkam, schloss ich die Tür ab und war alleine. Nur ich, meine heruntergelassene Hose und die nackten Körper von Frauen* mit großen Brüsten auf Bildschirmen. Vor oder hinter ihr ein Mann mit durchtrainiertem Körper, einem absurd großen Penis und dem immer gleichen Ablauf von Sex.

Mehrmals in der Woche schaute ich Pornos, über Jahre – bis heute. Und jedes Mal, wenn ich diesen Moment für mich freischaufelte, merkte ich, wie sehr ich es brauchte. Lesen, ab und zu mit meinen Mitbewohnern quatschen, einkaufen gehen: All dies war weniger wichtig. Porno schauen war eine Sucht, ein Verlangen, eine zur Routine verkommene Bestätigung.

Küssen, Blasen, Penetrieren, Abspritzen, Fertig.

Dieser Austausch mit mir selbst war reduziert auf die ständige digitale Verfügbarkeit von Frauen* und der kostenlosen und unbegrenzten Möglichkeit, Pornos zu gucken. Und diese hatten feste Strukturen und waren klaren Regeln unterworfen: Männer* sagen der Frau*, wo es lang geht und wie der Sex läuft. Küssen, Blasen, Penetrieren, Abspritzen, Fertig. Als 14-jähriger, pubertierender Junge dachte ich, dass das auch in der realen Welt so sein müsste. Der Junge* macht den ersten Schritt, hat zu sagen, wann wer Lust hat und kümmert sich nur bedingt darum, was das Mädchen* will. Sobald sie nackt war, musste der Sex folgen. Und dieser Sex hatte klare Gewinner: Männer*.

Bis vor Kurzem bin ich so durch das Leben gelaufen und erst jetzt merke ich, was das mit dem Verhältnis zu meinem Körper gemacht hat. Bei fast jedem Porno, den ich sah, gab es unumstößliche Muster. So wie ein Pop-Song, der immer gleich klingt und sich nicht verändern muss, weil er erfolgreich ist. Jeder Porno war bestückt mit Männern*, die ausdauernd und muskelbepackt Penetrationssex performten. Das Vorspiel und Kuscheln danach wird nebensächlich.

Übermäßiger Pornokonsum führt zu einem verzerrten Bild von Sexualität

Laut wissenschaftlichen Studien und den Meinungen führender Sexualtherapeut*innen führt übermäßiger Pornokonsum zu einem verzerrten Bild von Sexualität. Dabei kommen Jungen durchschnittlich bereits mit ungefähr 14 Jahren mit pornographischen Inhalten in Berührung, wie eine Studie der Universitäten Münster und Hohenheim zeigt. Also einem Alter, in dem aufgrund fehlender sexueller Erfahrung der Konsum zu unrealistischen Vorstellungen von Sex und Erwartungshaltungen an den eigenen und fremden Körper und Intimität führt. Das liege auch daran, dass nur rund vier Prozent der Konsument*innen auch wirklich danach den Kontakt und Austausch über das, was sie gesehen haben, suchen und darüber reden möchten. Über die Hälfte tut genau das nicht und merkt zu spät, was das bedeutet. Die Folgen sind offensichtlich: Fehlender emotionaler Austausch, toxische Vorstellungen von Männlichkeit, Sexismus gegenüber Frauen und ein zunehmend unsicheres Verhältnis zum eigenen Körper.

Es war wieder sehr spät am Abend, ungefähr halb eins. Wieder suchte ich nach den fünf Minuten Ruhe, aber dieses Mal schaute ich mich selber an und nicht die Frau* auf dem Bildschirm mit den großen Brüsten. Ich vergaß die bereits sechs geöffneten Tabs und fragte mich: War mein Penis zu klein? Mein Bizeps zu undefiniert? Und die Frau* wirklich gewollt so unterwürfig? Ich kam nicht mehr heraus aus dieser Spirale aus Angst, Zweifel und ständigem Druck, bei jedem One-Night-Stand die ultimative Show abliefern zu müssen. Ich glaubte nicht wirklich, genauso mit Frauen* schlafen zu müssen, wie es mir in Pornos gezeigt wurde. Doch durch die Pornos machte ich mir selbst Druck, mit einem großen Penis so gekonnt umgehen zu können, damit die Frau* durch harten penetrativen Sex zum Orgasmus kommt.

Giftige Männlichkeit auf dem Bildschirm

Dieses Gefühl hat sich über Jahre lang aufgebaut und sich ganz fest in meinem Kopf verfestigt. Aus Überforderung schlief ich eine Zeit lang nicht mit Frauen*, ich hatte Angst, abgewiesen zu werden. Ich traute meinem eigenen Körper nicht und verlor dadurch jegliches Selbstwertgefühl. Mit einem Kuss konnte ich umgehen, aber sobald daraus mehr wurde, war ich blockiert und suchte Ausreden, um nicht intimer werden zu müssen.

Das hatte auch Folgen für mein Ego. Eifersucht überkam mich immer häufiger, immer heftiger. Das ungesunde Verhältnis zu meinem eigenen Körper war schädlich: Sobald ich jemanden mochte und diese Person mit anderen Männern* sah, dachte ich, dass sie nur miteinander schlafen wollten, weil mein eigener Körper nicht reichte.

Platonische Beziehungen zwischen Mann* und Frau* waren für mich eine Lüge. Dabei war ich das Problem. Weil ich meinen Körper ansah und den auf dem Bildschirm. Weil ich die Frauen* auf dem Bildschirm anschaute und nicht die Person, die vor mir stand. Weil ich dieser harte Mann in einem der sechs Tabs sein wollte und nicht ich selber, der nackt auf seinem Stuhl saß und auf das MacBook starrte. Diese Männlichkeit war giftig. Für mich, für meine Freunde und für alle Frauen*, die ich mochte. Ich war unsicher, aber spielte den starken Mann. Ich war verzweifelt, weil ich nicht nur harten Sex, sondern auch kuscheln wollte, aber dachte, dass es anders sein muss.

Mainstream-Pornos sind das Problem

Man muss sich bewusst machen, wie groß der Einfluss von jahrelangem Pornokonsum auf das Leben ist. Dazu gehört auch, darüber zu sprechen und Pornographie anders zu betrachten. Denn der Konsum ist nicht per se schlecht. Die Mainstream-Pornos, die eine bestimmte Vorstellung von Intimität darstellen und dabei vor allem sexistische Frauenbilder fördern, sind das eigentliche Problem.

Mittlerweile hat sich mein Pornokonsum verändert. Dass ich ganz aufgehört hätte, Pornos zu schauen, wäre eine Lüge. Verschiedene Regisseur*innen, wie Erika Lust, haben einen anderen Zugang und beschäftigen sich in ihren Filmen kritisch mit gängigen Sex- und Körpervorstellungen. Diese feministischen Pornos sind weniger auf den Mann fixiert, und bilden im Konsens verabredeten, realen Sex ab, der jede Art von Intimität zulässt und unterschiedlichen Körperformen Raum gibt.

Genau über diese Themen zu reden, sich auszutauschen, auch mal zu sagen, dass man keine Lust hat oder einfach nur gemeinsam im Bett liegen möchte, gehört dazu, wenn man sein Verhältnis zu sich und seinem Körper verändern will und seine Liebe so ausleben möchte, wie es sich gut und ungezwungen anfühlt. Mittlerweile schaue ich immer mehr in den Spiegel. Und immer mehr bin ich ich selbst und nicht der Typ auf dem Bildschirm. Und das tut mir gut.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Supernova

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