46 Schweine

Ulrike Wagener tabuisiert ungehemmten Fleischkonsum

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 2 Min.

Die Küche ist ein elementarer Bestandteil menschlicher Gemeinschaft. Dort spielt sich nicht nur die Nahrungsaufnahme ab, sondern dort knüpfen wir auch soziale Bande. Nicht nur über die Geschichten, die wir uns erzählen, sondern auch darüber, was als essbar gilt und was nicht. Letzteres ist ein kultureller Aushandlungsprozess, der veränderbar ist. Rinder etwa sind im Hinduismus tabu, anderswo aber ein »normales Lebensmittel«; Singvögel isst man in einigen südeuropäischen Ländern, in Deutschland aber nicht.

Nahrungsmitteltabus sind zwar an sich willkürlich, haben sie sich aber einmal etabliert, ist daran kaum zu rütteln. Normalerweise bedeutete das - würde man denken - dass man einen Deutschen eher nicht dazu bringen wird, ein Meerschweinchen zu essen oder eine gegrillte Heuschrecke. Doch fast genauso emotional reagiert man hierzulande, wenn jemand ein bestimmtes Lebensmittel nicht isst oder es gar nicht erst angeboten wird. Schweinefleisch zum Beispiel. Dachte man schon, die Fleischliebhaber hätten sich am »Veggie-Day« der Grünen ausgiebig ausgetobt, faselten nun AfD-Mitglieder von einer »kulturellen Unterwerfung«, weil zwei Kindergärten in Leipzig auf Schweinefleisch verzichten wollen.

Woher rührt diese Überidentifikation der Deutschen mit Kulturpraktiken, von denen sie wissen, dass sie eigentlich schlecht sind, wie Autofahren oder eben möglichst viele Schweine auf den Grill zu werfen?

Schweine werden mit Gas betäubt, bevor sie bewusstlos an einer Kette durch die Schlachtstraße gezogen, nahe des Herzens erstochen und - nachdem sie verblutet sind - in Brühwasser geworfen werden. Diese Kulturtechnik der Schweineschlachtung ist die Voraussetzung für einen ausgiebigen Schweinekonsum und gilt in Kantinen und auf Grillfeiern dieses Landes quasi als Grundlage einer »normalen Ernährung«.

Würde man das einem zweijährigen Kindergartenkind erzählen oder gar zeigen, würde es dieses Fleisch vermutlich kaum freiwillig essen. Meist werden ihm aber nur unrealistische Bilderbücher mit grasenden Schweinen gezeigt. Und zugleich wird ihm beigebracht, dass es genauso normal ist, circa 46 Schweine im Leben zu verspeisen, wie es normal ist, an einem Herzinfarkt zu sterben.

Das Risiko für Herzerkrankungen ließe sich mit einer »unnormalen« Ernährung ohne Fleisch übrigens um etwa die Hälfte reduzieren. Es wäre also ein recht nützliches Nahrungsmitteltabu! Ach so: Ein Tabu ist kein Verbot - Sie können auch in Deutschland in Seelenruhe ein Rotkehlchen verspeisen.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal