Ökologie, Transformation und Emanzipation

  • Ronald Blaschke
  • Lesedauer: 4 Min.
Zu Beginn soll an den Zusammenhang von Ökologie (Beziehung zwischen Organismus und natürlicher/sozialer Umwelt), Ökumene (Menschengemeinschaft) und Ökonomie (Haushalt) erinnert werden. Den Begriffen zugrunde liegt das griechische Wort oikos, das Haus. Bürgerlich-kapitalistische und patriarchale Wirtschaftslehren (Neoklassik, Keynesianismus) sind unfähig, die komplexen Beziehungen des ganzen Hauses zu erfassen. Solche reduktionistischen Theorien sind Ausdruck der realen Herauslösung der (Markt-)Wirtschaft und der Arbeit aus ihrem natürlichen und sozialen Zusammenhang. Dieser Zusammenhang als auch (Spät-)Folgen vermeintlich produktiv-ökonomischen Tuns werden ausgeblendet: Nur das, was sich im geldvermittelten Arbeits- und Kapitalbereich abspielt und erfassen lässt, wird als sinnvoll erachtet - weil es »ökonomisch« sei, Arbeitsplätze, Konsumgüter und Dienstleistungen zu schaffen oder Profit zu machen. Dieser reduktionistischen ökonomischen Denkweise entspricht, dass beim Airbus-Arbeitsplatzkampf das Flugzeug als Klimakiller Nr. 1 und Airbus als Rüstungsproduzent keine Themen waren - auch nicht bei den LINKEN. Mit dieser Denkweise lässt sich auch der Verschleiß natürlicher und menschlicher Ressourcen erklären: z. B. die »ökonomisch sinnvolle« Verkürzung der Lebens- und Attraktivitätsdauer von Konsumgütern. »Sinnvoll«, wie die Entsolidarisierung und Kolonialisierung der sozialen Lebenswelt - nämlich durch die zunehmende Dominanz »ökonomisierter«, nämlich professioneller und bezahlter Dienstleistungs-Arbeit. Die nun schon über dreißig Jahre währende grün-linke und feministische Kritik an der Zerstörung der sozialen Ökologie ist im Schlachtruf »Hauptsache Arbeit« kaum noch hörbar! Dazu passend findet sich in den genannten »ökonomischen« Lehren der eigensinnige Oikos des Mikrosozialen (Familie, Freund- und Nachbarschaft, bürgerschaftliches Engagement) nicht wieder. Auch nicht die alltäglich geleistete immaterielle Produktion des Individuums, seines lebendigen Wissens, seiner Fähigkeiten und Fertigkeiten - ganz im Gegensatz zur politischen Ökonomie von Karl Marx. Er sah in diesem Fähigkeitsreichtum und der dämmernden Wissensökonomie die transformatorische Vergesellschaftung von Arbeit, Produktion und Distribution möglich werden. Marx hatte einen Begriff vom Menschen, der die Produktion seines Lebens bewusst steuert und die Welt nach seinen Bestimmungen des Schönen gestaltet. Eine Emanzipation von der reduktionistischen Ökonomie, zaghaft mit dem Begriff der Nachhaltigkeit begonnen, hieße zuvörderst, darüber zu reflektieren: Was braucht mensch eigentlich zum guten Leben? »Gut leben« ist die Devise der Ökonomie des ganzen Hauses. »Gut leben« heißt: bewusst, solidarisch und mit ästhetischem Anspruch die Produktion und das Leben gestalten und genießen. Dagegen ist der Ruf nach Arbeitsplätzen und Beschäftigung, nach Massenkaufkraft, Export- oder Binnenkonjunktur bewusstlos. Er ist Ausdruck des Schlafes der menschlichen Vernunft, welcher viele hässliche und lebensbedrohliche Ungeheuer gebiert. Auch wenn im Namen der Vernunft Arbeitsplätze in ökologisch verantwortbaren Produktionsbereichen geschaffen werden, löst sich das Problem noch nicht. Denn eine Ökonomie des ganzen Hauses verweist darauf, dass massenhaft ökologisch und sozial unverantwortbare Arbeitsplätze stillgelegt werden müssen. Mindestens ein Nullsummenspiel! Diskutiert werden muss also, was eigentlich von mensch verantwortbar gewollt und konsumiert werden kann, folglich produziert werden soll. Verantwortbar meint, dass mögliche Ungewissheiten bezüglich der (Spät-)Folgen des Tuns sich erst ethisch und demokratisch rechtfertigen. Sensible technische und demokratische Frühwarnsysteme müssen installiert werden. Im Zweifelsfalle ist das Unterlassen höchste menschliche Leistung! Die grüne und rote gentechnische Produktion ist m. E. solch ein Zweifelsfall. Denn mit ihr ergeben sich unbeantwortete Fragen hinsichtlich natürlicher und sozialer Auswirkungen - von folgenschwerer Manipulation des Natürlichen, Sozialen und Individuellen bis zur totalitären Machtkonzentration. Nach der erfolgten Entscheidung über das Ob der Konsumtion und Produktion wäre nunmehr über das Wie zu befinden. Auch darüber, in welcher Organisationsform das als notwendig und sinnvoll Erachtete produziert werden soll - im makrosozialen, im mikrosozialen oder individuellen ökonomischen Kontext. Diese hier genannten politisch-diskursiven Prozesse stellen kapitalistische Herrschaftsverhältnisse radikal in Frage. Die in der neoklassischen und keynesianischen Wirtschaftstheorie geheiligten markt- oder staatsgesteuerten Regulationen des Ökonomischen tun dies nicht. Herrschende Verhältnisse aufheben, das heißt Aneignung aller Produktions- und Konsumtionsbedingungen - durch eine radikale Demokratisierung. Dazu gehört ebenso die Zurückdrängung der Vormachtstellung des Finanzkapitals - weil es Konsumtions- und Produktionsentscheidungen am stärksten monopolisiert und manipuliert. Meine These ist: Unter dem hier skizzierten ganzheitlichen Niveau ist Nachhaltigkeit eine realogrüne, technologische Floskel. Kein grüner linker, transformatorischer Ansatz. Zu solch einem Ansatz gehört auch die Emanzipation des Individuums vom Zwang zum ökologisch, sozial und ökonomisch unverantwortbaren Tun. Vonnöten ist die konsequente Abwehr des Zwanges, weil das ökologische und soziale Gewissen des Einzelnen prinzipiell über der Herrschaft der Vielen steht. Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine Möglichkeit der Abwehr. Höchstmögliche Öffentlichkeit und Transparenz der Produktion und Konsumtion eine weitere - Stichwort ökologischer und sozialer Verbraucherschutz. Hier kann emanzipatorische linke Politik an ihrem Grundsatz der Offenlegung und Verhinderung kriegerischer Absichten und der möglichen Verweigerung des Militärdienstes anknüpfen. Denn Raubbau an Natur und Mensch ist nichts anderes als Krieg gegen Natur und Mensch! Eine emanzipatorische linke Politik kann lediglich die Rahmenbedingungen für die Aktivitäten des Menschen als ökologisch und sozial bewusstes Wesen schaffen. Sie sieht es darüber hinaus als Kulturaufgabe an zu lernen: nämlich den Respekt vor der Eigensinnigkeit und der Eigenständigkeit der äußeren Natur, der sozialen Lebenswelt und des Individuums.
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