Wie wäre es mit Putzen?

Erwerbslose haben gegenüber den Jobcentern viele Pflichten. Doch wer schützt sie, wenn sie diskriminiert werden?

  • Alina Leimbach
  • Lesedauer: 8 Min.

Ihr Arbeitsgebiet: die Straße. Streetworker*innen sprechen Wohnungslose und Drogensüchtige an - und begleiten sie zu Behörden, vermitteln sie an Beratungsstellen oder helfen mit den Schreiben vom Amt. Kein 9 to 5 Job. Jeder Tag bringt neue Geschichten und neue Herausforderungen. Doch für Sandra Schlensog ist es der Traumberuf. »Das wäre genau mein Ding und etwas, für das ich gut geeignet wäre.« Das Problem: Sie ist Hartz-IV-Bezieherin, eine Ausbildung in dem Bereich hat Schlensog nicht. Und in ihren alten Berufen als Büro- kauffrau und Inkassofachkraft kann sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten. Viele Möglichkeiten bleiben da nicht. Streetworkerin aber ginge. Und auch die Beschäftigungsaussichten als Streetworkerin sind solide.

Jobcenter können Weiterbildungen - auch zur Streetworkerin - finanzieren. Doch als die heute 41-Jährige ihr Vorhaben vor fast zwei Jahren bei ihrer Sachbearbeiterin vortrug, kam die Absage sofort: »Mit 40 brauchen Sie damit doch nicht mehr anfangen. Wann wollen sie denn da mit der Ausbildung fertig sein und arbeiten?«, erinnert sich Schlensog an die Begründung ihrer Sachbearbeiterin. »Da fühlt man sich überhaupt nicht ernst genommen. Wie abgestempelt«, sagt sie wütend. Und vor allem: »Ich empfinde das als ganz klar altersdiskriminierend.«

Tatsächlich gibt es bei Weiterbildungen seitens der Bundesagentur für Arbeit (BA) keinerlei Beschränkungen auf Grund des Alter, wie deren Pressestelle »neues deutschland« auf Anfrage mitteilt. Grundsätzlich sei eine Bewilligung aber auch abhängig von den Erfolgsaussichten auf Beschäftigung.

Jobcenter haben viel Macht

Geschichten wie die von Schlensog sind keine Einzelfälle. In einer repräsentativen Umfrage von 2015 zu Diskriminierungserfahrungen mit Behörden führen Jobcenter und Arbeitsagenturen die Statistik an. Auch bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gehen viele Beschwerden über die Arbeitsvermittlung ein. Sie machten im letzten Bericht 16 Prozent aller Beschwerden aus - und liegen demnach an dritter Stelle der Statistik. Diese Zahlen seien nicht repräsentativ, da sie nicht das gesamte Ausmaß abbildeten, betont der Bericht. Es könnten also deutlich mehr Fälle sein, als dort verzeichnet. Umgekehrt dürfte manch gemeldete Situation zwar vermutlich ungerecht, aber nicht automatisch diskriminierend sein.

Warum das Thema so sensibel ist? Weil die Jobcenter und Arbeitsagenturen viel Macht über ihre »Kund*innen« haben. Sie sind oftmals das letzte soziale Netz, hier gibt es das notwendige Geld zum Überleben, vielleicht die dringend erhoffte Weiterbildung. Aber seit den Hartz-Reformen und der Maxime vom »Fördern und Fordern« auch zahlreiche Anordnungen und empfindliche Strafen. Wer aus Sicht der Jobcenter nicht ausreichend mitarbeitet, dem kann beim wiederholten Verstoß sogar der komplette Regelsatz gestrichen werden, inklusive Mietzuschuss.

Auch der Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes stellt das heraus: »Viele Menschen sind beim Übergang in eine Erwerbstätigkeit auf die Unterstützung von Institutionen wie Arbeitsagenturen und Jobcenter angewiesen. Diskriminierungen in der öffentlichen Arbeitsvermittlung können daher für die betroffenen Personen besonders schwerwiegend sein.«

Wie wäre es mit einer Stelle als Putzkraft oder in der Pflege?

Wer ist überhaupt betroffen? Der Arbeitsmarktexperte der Universität Duisburg-Essen, Martin Brussig, hat ein fast 400 Seiten starkes Gutachten für die Antidiskriminierungsstelle des Bundes zum Thema verfasst. Er stellt fest: Frauen bekommen öfter als Männer nur geringfügige oder Teilzeitjobs angeboten. Und sie kommen bei arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen nicht entsprechend ihrem Anteil an den Arbeitslosenzahlen zum Zuge. Zudem spielten Geschlechterstereotype in der Vermittlung eine Rolle. Gerade Frauen mit Migrationshintergrund würden in »frauentypische« Tätigkeiten in der Reinigungsbranche oder der Pflege abgeschoben. »Eine Förderung muss anhand des persönlichen Bedarfs zustande kommen.Da darf man nicht geschlechtsspezifische Berufspräferenzen unterstellen. Das wäre Diskriminierung wegen des Geschlechts«, sagt Brussig, der an der Uni Duisburg-Essen die Forschungsabteilung Arbeitsmarkt - Integration - Mobilität leitet.

Personen mit Migrationshintergrund oder Behinderung sowie Trans*personen haben laut Gutachten des Wissenschaftlers ebenfalls ein erhöhtes Diskriminierungsrisiko. Mal sei das Problem die wenig verständliche Behördensprache, mal das Angebot der Jobcenter. Ein Beispiel: Maßnahmen werden ohne exakte Bedarfsplanung in großen Kontingenten eingekauft. Wer eine spezielle Förderung braucht, muss Glück haben, dass für ihn oder sie etwas dabei ist.

»Wenn Berater zu viele Menschen betreuen müssen, sind es oft Gruppen mit typischerweise höherem Unterstützungsbedarf, wie ältere Personen, die weniger Beachtung bekommen und dann nicht individuell angemessen gefördert werden«, sagt Brussig. Als »creaming« - also Sahne abschöpfen - wird dieser Fokus auf die »leichten« Fälle in der Wissenschaft bezeichnet. Brussig betont gegenüber »neues deutschland«: »Es ist wichtig, die Fallzahlen der Mitarbeiter in den Jobcentern zu reduzieren. Auch regelmäßige Schulungen für Mitarbeitende im Bereich der Antidiskriminierung halte ich für sehr wichtig.«

Die Bundesagentur für Arbeit verweist auf die »Diversity Charta«, die sie unterschrieben hat und zu »deren Zielen - Förderung von Vielfalt sowie Antidiskriminierung« sie sich bekenne. Nur: Die Charta zielt nur auf die eigenen Mitarbeiter*innen, nicht die Erwerbslosen.

Doch es gibt auch konkretere Maßnahmen: Auf dem Feld der Reproduktion unbewusster Stereotype scheint die Bundesagentur für Arbeit mittlerweile nachgearbeitet zu haben. Seit einiger Zeit biete die BA Zertifizierungen zur Fallmanager*in an. Die Fortbildung beinhalte auch Lehrinhalte zu speziellen Diskriminierungsthematiken. 2019 habe die Bundesagentur zudem begonnen, »ihre Beschäftigten zur Thematik der ›unbewussten Denkschubladen‹ mithilfe interner Medien und Arbeitsmittel zu sensibilisieren«, teilt die Pressestelle gegenüber »nd« mit. Schon »seit vielen« Jahren würden die Beschäftigten in den Arbeitsagenturen und in den gemeinsamen Einrichtungen zu Diskriminierungsrisiken, in Puncto Diskriminierungsschutz sowie Vielfalt geschult, so die BA weiter. Die Crux: All diese Kurse sind freiwillig, eine Verpflichtung zur Teilnahme gibt es nicht.

»Ich hätte mich gerne beschwert«

Doch was tun, wenn es zur Diskriminierung gekommen ist? »Ich hätte mich damals gerne beschwert«, sagt die Erwerbslose Sandra Schlensog bestimmt. »Da wurde mit einem einzigen ungerechtfertigtem Satz meine Perspektive vom Tisch gefegt.« Das Problem: Es gibt keine unabhängigen Stellen oder eine Ombudsperson, an die sich Erwerbslose wenden können. Nur vereinzelt bieten Kommunen selbst solche Stellen an.

Was es gibt: Das hausinterne »Kundenreaktionsmanagement« der Bundesagentur für Arbeit. »Wir freuen uns über Ideen, Anregungen und auch Lob«, heißt es fröhlich, wenn man beispielsweise die Seite des Jobcenters Berlin Mitte ansteuert. Man nehme »aber auch Ihre Probleme und Ihre Kritik ernst« und werde »gemeinsam mit Ihnen versuchen, eine Lösung zu finden«, liest man.

Nur: Selbst wenn Betroffene sich gerne beschweren wollen - der Weg ist lang. Sie werden darauf hingewiesen, dass sie erst einmal alle anderen Mechanismen ausloten sollen: Zuerst erneut das Gespräch mit dem oder der Sachbearbeiter*in suchen, oder formlos einen Beschwerdebrief senden. Danach sollen sie den oder die Teammanager*in ansprechen. Erst wenn all das nicht hilft, »steht Ihnen die Kontaktaufnahme zum Kundenreaktionsmanagement offen.« Sandra hatte sich auf diesem Weg ohnehin keine Erfolgschancen ausgerechnet und es von vornherein gelassen.

Auch Expert*innen reicht das nicht. »Ein internes Beschwerdemanagement ist keine unabhängige Beratungsstelle für die Betroffenen. Es kann gar nicht ohne Eigeninteresse beraten«, kritisiert die LINKEN-Bundestagsabgeordnete Jessica Tatti. Sie fordert unabhängige Beratungs- und Beschwerdestellen. Wissenschaftler Brussig pflichtet ihr bei. Gerade im Konfliktfall sei es wichtig, dem von unabhängiger Seite nachzugehen. Dies leiste das Kundenreaktionsmanagement der BA nicht.

Dass es beim Reaktionsmanagement nicht ganz unvoreingenommen zugeht, legen auch die Fallzahlen nahe. 2018 haben es gerade einmal 25 Fälle von angezeigter Diskriminierung in die offiziellen Statistiken der Bundesagentur geschafft. 2017 waren es gar nur zehn. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der LINKEN im Bundestag hervor. Erfolgreich beschieden wurde nur ein einziger seit 2007. Linkenpolitikerin Tatti hat Zweifel an dieser vermeintlichen Erfolgsstatistik: »Die Fallzahlen, die die Bundesregierung nennt, sind viel zu niedrig. Sie sind niedriger als die Zahlen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.«

Beschwerden nur intern bearbeitet

Die Große Koalition sieht allerdings keine Notwendigkeit für unabhängige Beschwerdestellen. Das geht aus ihrer Antwort auf die kleinen Anfrage der Linksfraktion hervor. »Derzeit plant die Bundesregierung nicht, unabhängige Beschwerde- beziehungsweise Ombudsstellen gesetzlich zu verankern.«

Auch andere Maßnahmen zum Schutz der Erwerbslosen vor Diskriminierung lehnt die Bundesregierung ab. Beispielsweise Ablehnungen zu Maßnahmen- oder Weiterbildungsanträgen immer schriftlich und in verständlicher Sprache zu verfassen. Derzeit erfolgt die Absage und Begründung solcher Entscheidungen oft nur mündlich. Für Betroffene macht es das schwer, dagegen vorzugehen. Die Groko teilt in ihrer Antwort an die LINKE jedoch mit, sie sehe »keinen Handlungsbedarf«.

Die Erwerbslose Sandra Schlensog ist von der Bundesregierung enttäuscht: »Ich bin bei meiner weiteren beruflichen Entwicklung auch wegen meiner Gesundheit angewiesen auf die Entscheidungen des Jobcenters.« Zurzeit müsse sie zwar einen Angehörigen pflegen und könnte ohnehin nicht voll an einer Weiterbildung teilnehmen. Doch perspektivisch hofft sie, wieder zu arbeiten. »Ich habe immer gearbeitet. Und dann kommt so etwas im Jobcenter, und ich kann mich nicht mal richtig beschweren. Das macht einen schon hilflos.« Die Frau seufzt. Und setzt hinzu: »Aber ich werde kämpfen.«

Jessica Tatti warnt vor den Folgen der Untätigkeit der Bundesregierung: »Schon heute ist der Bezug von Hartz IV vielfach mit Angst und Scham behaftet. Wenn sich Personen dann im Konfliktfall nicht einmal an eine unabhängige Beschwerdestelle wenden können, schafft das zusätzliche Hürden und Probleme für die Betroffen.«

Eine DIW-Studie aus diesem Jahr untermauert die hohe Brisanz des Themas. Sie kommt zu dem Schluss, dass im Schnitt mehr als die Hälfte aller anspruchsberechtigten Haushalte zwischen 2005 und 2014 kein Hartz IV beantragt haben. Die Hauptgründe: Unwissenheit, zu geringen Beträge, als dass es sich lohnen würde - aber auch das Stigma, das mit dem Hartz-IV-Bezug einhergeht. Klar wird, die Grundsicherung scheint für viele nicht das soziales Netz zu sein, als das es eigentlich gedacht ist. Das Auffangnetz ist für sie zum Fangnetz geworden. Ein Netz, in dem sie fürchten, sich zu verfangen - oder dem sie lieber gleich aus dem Weg gehen.

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