Mehr Geld, aber nicht für alle

Die geplante Reform der Altersbezüge bringt den Franzosen eine längere Lebensarbeitszeit

  • Ralf Klingsieck
  • Lesedauer: 4 Min.

Der von Präsident Emmanuel Macron mit der Vorbereitung einer grundlegenden Rentenreform beauftragte ehemalige Präsident des Wirtschafts- und Sozialrates Jean-Paul Delevoye hat nun die Grundzüge seines Entwurfs vorgelegt. Dies wird die für Macron wichtigste Reform seiner Amtszeit, zweifellos aber auch die brisanteste und daher am schwersten durchsetzbare. Wenn er damit Erfolg hat, schreibt er Geschichte, denn eine Rentenreform wurde seit Jahren zwar von rechten wie linken Regierungen angekündigt, dann aber immer wieder hinausgeschoben. Macrons »Hochkommissar für die Rentenreform« Delevoye hatte 18 Monate lang Experten sowie Vertreter der Unternehmerverbände und der Gewerkschaften konsultiert und im Ergebnis einen 130 Seiten langen Text verfasst, der der Regierung als Grundlage für ihr Reformgesetz dienen wird. Wann dieses dem Parlament zu Debatte und Abstimmung zugeleitet wird, ist offen. Möglicherweise erst nach der Kommunalwahl im März 2020, um das Reizthema im Interesse der »Regierungspartei«, der von Macron gegründeten Bewegung En marche, aus dem Wahlkampf herauszuhalten.

Durch die Reform soll ein neues, »universelles« Rentensystem geschaffen werden, das trotz der ständig steigenden Lebenserwartung finanzierbar bleibt und außerdem gerechter wird. So sollen die 42 branchenspezifischen Rentensysteme in einem einheitlichen System aufgehen. Ziel ist es vor allem, die Arbeitnehmer zu veranlassen, länger zu arbeiten und damit auch länger Beiträge in die Rentenkasse einzuzahlen. Allerdings soll aus politischen Gründen nicht am gesetzlichen Rentenalter gerührt werden, das 1981 von der ersten Linksregierung auf 60 Jahre festgelegt und erst 2010 von der rechten Regierung unter Präsident Nicolas Sarkozy für alle nach 1955 geborenen Franzosen auf 62 Jahre angehoben wurde.

Doch diese Altersgrenze wird zu einer rein theoretischen Größe, denn wer zu diesem Zeitpunkt in Rente gehen will, bekommt diese künftig nur mit einem Abzug von 5 Prozent pro Jahr. Den vollen Rentenbetrag soll es erst ab einem Alter von 64 Jahren geben. Wer freiwillig noch länger arbeitet, dem winkt bis zum 67.Lebensjahr ein jährlicher Aufschlag von fünf Prozent. Die Reform soll ab 2025 für alle nach 1963 geborenen Franzosen gelten. Sie macht der Berechnung der Rente nach Beitragsquartalen ein Ende. Statt dessen werden das ganze Arbeitsleben lang Punkte gesammelt - ein Punkt für zehn Euro Rentenbeitrag.

Als Ausgleich für ein längeres Arbeitsleben soll die Reform die Lage für die Bezieher kleiner Renten verbessern. Wer beispielsweise den Mindestlohn verdient, bekomme heute mit 62 Jahren 894 Euro Rente und nach der Reform 881 Euro, also 13 Euro weniger. Beim Rentenbeginn mit 64 sind es heute wie künftig gleichermaßen 1065 Euro. Geht man dagegen erst mit 66 in Rente, wären es nach heutigen System 1234 Euro und künftig 1459 Euro, also 225 Euro mehr.

Trotzdem ist die Reform ein rotes Tuch für Philippe Martinez und Yves Veyrier, die Generalsekretäre der Gewerkschaften CGT -FO, die schon jetzt für den Herbst Protestaktionen ankündigen. Sie prangern die »verlogene Zahlenspielerei« um das gesetzliche Rentenalter an und befürchten, dass Menschen, die erst spät und nach diversen prekären und schlecht bezahlten Jobs einen Langzeitarbeitsplatz finden, als Rentner unter Altersarmut zu leiden haben. Sorgen machen sich CGT-FO auch um die Beschäftigten im öffentlichen Dienst, deren Rente sinken wird, weil sie nicht mehr wie bisher nach den letzten sechs Monaten berechnet werden soll, die gewöhnlich die höchstbezahlten sind, sondern nach dem tatsächlichen Gehalt über die gesamte Dauer des Arbeitslebens. Dagegen begrüßt Laurent Berger, der Generalsekretär der reformistischen Gewerkschaft CFDT, die Reform und vor allem die Rentenberechnung nach Punkten. »Das haben wir seit Jahren gefordert und das dürfte mehr Gleichbehandlung und damit mehr Gerechtigkeit bringen«, sagt er. Die Unterstützung durch die CFDT ist wichtig für die Regierung, die sich davon einen ähnlichen Effekt wie 2017 bei der Arbeitsrechtsreform verspricht, an der der von CGT-FO angeführte Widerstand nichts ändern konnte. Agnès Buzyn, Ministerin für Solidarität und Gesundheit, sichert zu, dass die Regierung die Rentenreform »nicht mit Brachialgewalt durchdrücken«, sondern alle betroffenen Seiten ausgiebig konsultieren will. »Wir streben einen hohen Grad von Akzeptanz an«, sagt sie. Viele Detailfragen sollen »im Dialog einvernehmlich geklärt« werden.

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