nd-aktuell.de / 03.08.2019 / Politik / Seite 6

Wachstum um jeden Preis

Die Industrienationen kämpfen gegen den Abschwung - doch ein dauerhafter Wirtschaftsboom ist mit Klimaschutz kaum vereinbar

Stephan Kaufmann

Der Abschwung ist da: Ob in Europa, den USA oder China, überall lässt das Wirtschaftswachstum nach. Regierungen suchen nach Gegenmaßnahmen und erhöhen ihre Defizite. Die Zentralbanken senken ihre Zinsen, um Kredit zu verbilligen und so die Konjunktur zu stärken. Mehr Schulden sollen mehr Wirtschaftsleistung bringen - und damit mehr CO2-Emissionen. So wird derzeit klargestellt: Worauf zum Wohle des Klimaschutzes in Zukunft auch immer verzichtet werden muss - auf Fleisch, Flüge oder Autofahrten - am Wachstum der in Geld gemessenen Umsätze der Unternehmen wird nicht gespart.

Die deutsche Wirtschaftsleistung ist im zweiten Quartal 2019 um 0,1 Prozent gegenüber Vorquartal zurückgegangen, meldet das Statistische Bundesamt. In der Industrie herrscht seit langem Rezession. »Vor allem die Automobilindustrie entwickelt sich zum Krisenherd«, erklärt die VP Bank. »Da es sich um eine Schlüsselbranche handelt, färbt dies auf zahlreiche andere Wirtschaftszweige wie die Chemieindustrie ab.«

Der Abschwung bleibt nicht auf Deutschland beschränkt: Auch in Großbritannien ist das Bruttoinlandsprodukt zwischen April und Juni zurückgegangen, in Italien herrscht Stagnation. In der Euro-Zone halbierte sich das Wachstum auf 0,2 Prozent.

Kredit für die Konjunktur

Die Europäische Zentralbank wird im September daher voraussichtlich mit weiteren Maßnahmen das Zinsniveau in Europa drücken, damit mehr Kredit zu mehr Investitionen und mehr Konsum führt und so das Wirtschaftswachstum angekurbelt wird. Während sich die gesellschaftliche Debatte darum dreht, wie und ob Einschränkungen des Verbrauchs für den Klimaschutz nötig sind, stellt die Fondsgesellschaft DWS fest: »Deutschlands Wirtschaftswohl hängt an der umgebremsten heimischen Konsumfreude.«

Auch in den USA hängt die Konjunktur am staatlichen und privaten Konsum. Das dortige Wirtschaftswachstum ist zwar noch ordentlich, dennoch hat die Zentralbank (Fed) diese Woche die Zinsen gesenkt, um den seit zehn Jahren anhaltenden Aufschwung zu verlängern. »Es gibt wirklich keinen Grund, warum die Expansion nicht weiterlaufen sollte«, erklärte US-Zentralbankchef Jerome Powell vergangene Woche. Unter Druck gesetzt wird er durch Präsident Donald Trump, der die Wirtschaft der Vereinigten Staaten immer weiter anfeuern will und dem die neue Zinssenkung nicht stark genug war: »Wie üblich hat Powell uns enttäuscht«, kommentierte Trump. Aber gegen China und die EU »werden wir trotzdem gewinnen - auch wenn ich dabei nicht viel Unterstützung von der Zentralbank bekomme.«

Um das Wirtschaftswachstum zu verstärken, treibt Washington zudem seine Verschuldung in die Höhe. Das staatliche Defizit ist im laufenden Jahr bereits fast ein Viertel höher als 2018 und steigt in den kommenden Jahren in Richtung 1000 Milliarden US-Dollar. Damit die Neuverschuldung nicht sinken muss, sondern im Gegenteil weiter steigen kann, wurde die gesetzliche Schuldenobergrenze für zwei Jahre ausgesetzt.

Ähnlich ist die Situation in China. Dort ist das Wachstum auf zuletzt 6,1 Prozent gesunken. Es liegt damit so niedrig wie seit den 1990er Jahren nicht mehr. Sechs Prozent Wachstum bedeuten zwar, dass China alle vier Jahre eine zusätzliche Wirtschaftsleistung produziert, die dem Bruttoinlandsprodukt Deutschlands entspricht - und alle zehn Jahre eine Wirtschaftsleistung wie die der USA. Dennoch wird ein zu deutlicher Rückgang nicht zugelassen, weswegen die Regierung in Peking die Zinsen senkt, Kredite verbilligt und staatliche Gelder verteilt.

Keiner der drei großen Wirtschaftsblöcke ist bereit, im Kampf um Anteile am globalen Wachstum zurückzustecken. Die privaten und staatlichen Schulden, die sie für Stützung der Konjunktur mobilisieren, sind ein gigantischer Kredit, den sie auf künftige Boomzeiten ziehen.

Mehr Produktion bedeutet in der Tendenz allerdings auch: mehr Ausstoß von CO2. Nun hatten sich die Staaten im Pariser Abkommen dazu verpflichtet, die globale Erwärmung auf maximal zwei Grad Celsius zu begrenzen. Wenn gleichzeitig die Wirtschaftsleistung immer weiter steigen soll, ist eine Entkopplung der Güterproduktion von den Treibhausgas-Emissionen nötig. Auf dieser Entkopplung durch »grünes Wachstum« ruhen alle Hoffnungen. Bislang allerdings sind die Ergebnisse wenig ermutigend.

Tatsächlich hat in den vergangenen zehn Jahren bereits eine relative Entkopplung stattgefunden. Pro Einheit Wirtschaftsleistung wird weniger CO2 ausgestoßen. Dieser Ausstoß steigt daher schwächer als das weltweite Bruttoinlandsprodukt. Aber er steigt.

Der CO2-Ausstoß steigt

Die Ökonomen der französischen Bank Natixis machen eine Überschlagsrechnung: Das Wachstum des globalen Produktionspotenzials ist in den vergangenen 20 Jahren von 4,3 auf 2,6 Prozent gesunken. Selbst wenn das Wachstum bis zum Jahr 2040 auf 2,4 Prozent zurückgeht, so dürften angesichts der technologischen Entwicklung die globalen CO2-Emissionen bis zum Jahr 2040 immer noch um etwa 1,2 Prozent pro Jahr zunehmen. Diese Zunahme wäre zwar deutlich geringer als die der Wirtschaftsleistung. Doch um die vereinbarten Klimaziele zu erreichen, dürfen die Emissionen gar nicht steigen, sondern müssten um rund zwei Prozent pro Jahr sinken. Das bedeutet laut Natixis: »Der Rückgang des globalen Wachstums wird keinesfalls ausreichen, um die Emissionen auf das erforderliche Niveau zu senken.«

Weitergehende Maßnahmen zum Schutz des Klimas wären daher nötig. Doch auch diesen wird eine Grenze gesetzt: »Der Klimaschutz darf nicht zu größeren Belastungen für die Unternehmen führen«, mahnte kürzlich zum wiederholten Mal Peter Altmaier, der Minister, der in Deutschland für die Wirtschaft zuständig ist.