nd-aktuell.de / 09.08.2019 / Politik / Seite 6

»Das Schlimmste ist zu schweigen«

Die guatemaltekische Ex-Generalstaatsanwältin Thelma Aldana über ihre verhinderte Präsidentschaftskandidatur

Martin Reischke

In Guatemala kommt es am 11. August zur Stichwahl zwischen Sandra Torres von der Partei UNE sowie Alejandro Giammattei (Vamos). Vor allem diese beiden haben davon profitiert, dass Sie nicht als Präsidentschaftskandidatin antreten konnten. Keiner dieser beiden Kandidaten will, dass die Internationalen Kommission zur Bekämpfung der Korruption und Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) ihre Arbeit in Guatemala fortsetzt. Was heißt das für das Land?

Das ist sehr schade, denn die CICIG ist das wertvollste Geschenk, das die UNO Guatemala jemals gemacht hat. Die Kommission hat gezeigt, dass der Kampf gegen Korruption und Straflosigkeit möglich ist. Die Situation ist sehr bedauerlich. Sie ist vor allem dem Präsidenten Jimmy Morales geschuldet, weil er den Rechtsstaat unterwandert, die Justiz geschwächt und das Mandat der CICIG beendet hat.

Sie haben den Begriff vom »Pakt der Korrupten« im Parlament geprägt. Werden diese den Kampf gewinnen?

Mit der Arbeit von mir und meiner Vorgängerin Claudia Paz y Paz als Generalstaatsanwältin haben wir zusammen mit der CICIG etwas erreicht, was der Pakt der Korrupten niemals zerstören kann, und das ist das Bewusstsein in der Bevölkerung. Auch wenn die Guatemaltekinnen und Guatemalteken gerade nicht auf die Straße gehen, wissen sie doch sehr genau, wer die Korrupten sind, und sie wissen, dass man gegen die Korruption kämpfen muss. Das ist ein Erfolg der Arbeit der CICIG in Guatemala.

Wie ist es dann zu erklären, dass zwei Kandidaten wie Sandra Torres und Alejandro Giammattei in die zweite Wahlrunde kommen? Gegen Torres gibt es Korruptionsermittlungen, Giammattei werden beste Verbindungen zu kriminellen Kreisen nachgesagt.

Das liegt daran, dass der Staat unterwandert ist, und solange das so ist, wird das Parteiensystem nicht funktionieren. Die große Herausforderung für den nächsten Präsidenten wird es sein, den Rechtsstaat zu stärken und das Gesetz und die staatlichen Institutionen zu achten, denn wenn die CICIG nicht mehr da ist, ist das Risiko sehr groß, dass der Pakt der Korrupten an Einfluss gewinnt.

Bei den Parlamentswahlen im Juni hat die neue Partei »Movimiento Semilla«, für die Sie als Präsidentschaftskandidatin antreten wollten, sieben Abgeordnetensitze von insgesamt 160 bekommen. Das ist sehr wenig, um politische Änderungen durchzusetzen.

Das stimmt, es sind sehr wenige, aber die Qualitäten und die Moral der Fraktion sind sehr gut. Auch mit wenigen Abgeordneten kann man die Arbeit der Regierung kontrollieren und eigene Gesetzesvorschläge einbringen. Wir müssen überall unsere Stimme erheben, denn das Schlimmste, was Guatemala passieren kann, ist zu schweigen.

Im März wurde der Präsidentschaftskandidat Mario Estrada (UCN) in den USA verhaftet. Ihm wird vorgeworfen, ein Mordkomplott gegen zwei politischen Rivalen geplant zu haben, unter anderem gegen Sie. Haben Sie das erwartet, als Sie angetreten sind?

Ja, ich wusste, dass ich mich in Guatemala einer großen Gefahr aussetzen würde, und zwar aus zwei Gründen: erstens als Rache für meine Arbeit als Generalstaatsanwältin, und zweitens, um meine Teilnahme an den Wahlen zu verhindern.

Es gibt Gerüchte, dass sie Asyl in den USA beantragt hätten.

Ich habe noch keine Entscheidung getroffen, sondern prüfe noch, was ich tun werde.

Laut der guatemaltekischen Regierung liegt ein internationaler Haftbefehl gegen Sie vor. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen Unterschlagung und Steuerhinterziehung vor. Was sagen Sie zu den Vorwürfen?

Es gibt keinen internationalen Haftbefehl, wie man leicht auf der Internetseite von Interpol nachprüfen kann. Ich bin Opfer einer Verleumdungskampagne geworden und werde in Guatemala politisch verfolgt.

Anfang des Jahres hat der guatemaltekische Präsident Jimmy Morales die Zusammenarbeit mit der CICIG für beendet erklärt. Die USA haben großen Einfluss auf Guatemala, trotzdem haben sie die Regierung nicht dazu gedrängt, das Mandat der CICIG noch einmal zu verlängern. Haben sich die USA damit mitschuldig gemacht an der aktuellen Misere im Land?

Das sehe ich nicht so. Das Problem ist, dass es in Guatemala eine korrupte politische Klasse gibt und dass der Staat von diesen korrupten Politikern beherrscht wird. Das ist ein internes Problem, und kein Land der Welt hat Schuld an dem, was in Guatemala passiert. Im Gegenteil: Die EU, die USA und viele andere Ländern haben uns geholfen, aber diese Hilfe wird niemals ausreichen, wenn unsere Politiker und Funktionäre auch weiter korrupt sind.

Im Frühjahr dieses Jahres wurden Sie von der Partei »Movimiento Semilla« zur Präsidentschaftskandidatin gekürt, das Verfassungsgericht hat Ihre Kandidatur in einer umstrittenen Entscheidung jedoch aus formalen Gründen untersagt. Haben Sie eine politische Zukunft in Guatemala?

Wer Straftaten begeht oder korrupt ist, kann in Guatemala heute leichter Präsidentschaftskandidat werden als eine ehrliche Person. Solange das politische System des Landes von der Korruption unterwandert bleibt, haben ehrliche Kandidaten keine Chance. Aber wir werden die Hoffnung auf eine langsame Veränderung niemals aufgeben.