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Von Berlin aus gegen Bolsonaro

Auslandsbrasilianer wollen sich am Wochenende in Berlin gegen die Bolsonaro-Regierung vernetzen

  • Niklas Franzen
  • Lesedauer: 4 Min.

Man dürfe sich nicht zurücklehnen. Nicht ruhig sein. Nicht die Augen verschließen. Fernanda Otero ist bei FIBRA aktiv, einem Netzwerk von Brasilianer*innen, die im Ausland leben. Von Freitag bis Sonntag treffen sich die Aktivist*innen in Berlin, um die Frage zu diskutieren: Was kann aus dem Ausland gegen die rechtsradikale Bolsonaro-Regierung getan werden?

Das FIBRA-Netzwerk gründete sich, nachdem Dilma Rousseff, Präsidentin und Politikerin der sozialdemokratischen Arbeiterpartei PT, im Jahr 2016 durch ein juristisch extrem fragwürdiges Amtsenthebungsverfahren abgesetzt worden war. Als »kalten Putsch« bezeichnete die Linke das Manöver. Im Januar 2017 fand die erste Konferenz von FIBRA statt – in Amsterdam mit rund 100 Teilnehmer*innen. Seitdem hat sich die Situation deutlich verschlimmert: Seit dem 1. Januar 2019 ist mit Jair Bolsonaro ein rassistischer, homophober Waffennarr Präsident des größten Landes Lateinamerikas.

Rund 200 Teilnehmer*innen werden auf dem Treffen von FIBRA erwartet. Die von der Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützte Veranstaltung findet im Gebäude des »neuen deutschland« in Berlin-Friedrichshain statt. Das Ziel: die historischen Rückschritte durch die Bolsonaro-Regierung anklagen. Brasilianer*innen im Ausland vernetzen. Und vor allem: internationale Institutionen zum Handeln bewegen.

Doch was heißt das konkret? Laut Otero könne man gerade durch die Wirtschaft Druck aufbauen: Steuern auf brasilianische Produkte erhöhen, keine Geschäfte mehr mit brasilianischen Firmen, die von Menschenrechtsverbrechen und Umweltzerstörung profitieren. Auch ein Boykott von bestimmten brasilianischen Produkten wie Soja werde diskutiert.

Laut der Aktivistin Samantha Silva, die seit zehn Jahren in Berlin lebt, sei aber genau das schwierig. Denn deutsche Firmen wie Bayer oder BASF verdienten prächtig an der Abholzung des Regenwaldes und dem von der Regierung hofierten Agrobusiness. Die 32-Jährige meint: »In Europa wird viel über Bolsonaro gesprochen, aber nur wenig gegen ihn getan.« Auch die deutsche Regierung tue nicht genug. Zwar gibt es vereinzelte Gegenstimmen zum Kurs von Bolsonaro. Erst vergangene Woche hatte die deutsche Umweltministerin Svenja Schulze angekündigt, Amazonas-Fördermittel aufs Eis zu legen. »Das kam viel zu spät«, meint Silva. Kritik stehe oft hinten an. »Deutschland und Europa müssen grundsätzlich das Modell der Rohstoffausbeutung überdenken und über die verheerenden Schäden nachdenken.«

Am Mittwoch solidarisierten sich Aktivist*innen in Berlin auf einer Kundgebung mit Märschen von indigenen Frauen und Kleinbäuerinnen, die zeitgleich in Brasilien stattfanden. Zwar versammelten sich nur wenige Leute vor der brasilianischen Botschaft. Laut Silva sei der Protest dennoch enorm wichtig gewesen. Denn erstmals kamen heimische Klimabewegungen wie Ende Gelände und Extinction Rebellion mit brasilianischen Gruppen zusammen. Die deutsche Hauptstadt ist eine Hochburg der brasilianischen Opposition, hier gibt es zahlreiche Gruppen von Auslandsbrasilianer*innen.

Gerade die Zerstörung des Amazonas sei ein Thema, das das Potenzial habe, Menschen außerhalb der Aktivistenblasen zu mobilisieren. Die Abholzungsrate nahm im Juli um 278 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zu. »Der Amazonas ist kein brasilianisches Problem«, meint Silva. »Die ganze Welt sollte ihm gegenüber eine moralische Verantwortung haben.«

In Deutschland herrsche aber immer noch ein idealisiertes Bild vor. »Hier denkt man an ganz viel Grün, aber der Amazonas ist ein schlagendes Herz. Wenn die Bäume fallen, stirbt ein ganzes Ökosystem – und letztlich sterben auch Menschen.« So kommt es seit dem Amtsantritt von Bolsonaro fast jeden Tag zu Angriffen auf indigene Gemeinden und Kleinbäuer*innen. Indigene warnen sogar bereits vor einem »neuen Genozid«.

Auch im Rest des Landes spitzt sich die Situation zu. Viele Brasilianer*innen haben seit dem Amtsantritt der neuen Regierung aus Angst das Land verlassen. Otero meint: »Bei vielen ist die Rechnung: Wenn ich meinen Kühlschrank, meinen Fernseher und mein Haus verkaufe, bekomme ich irgendwie das Geld für ein Flugticket nach Europa zusammen.«

Einer, der unfreiwillig Brasilien verließ, ist Jean Wyllys. Der linke Politiker und LGBTI-Aktivist setzte sich Anfang des Jahres aufgrund von Morddrohungen ab. Im Februar sagte Wyllys im nd-Interview: »Ich bin weggegangen, um zu leben. Wir brauchen keine weiteren Märtyrer. Wenn ich tot bin, kann ich nur wenig ausrichten.« Auch er wird an dem Treffen der Auslandsbrasilianer*innen in Berlin teilnehmen. Weitere Gäste sind die Autorin und PT-Politikerin Marcia Tibúri, die aufgrund von Drohungen in die USA ging, und Renata Souza, die als Stadträtin das Erbe der ermordeten Marielle Franco antrat.

Linke Brasilianer*innen werden sogar bis ins Ausland bedroht und attackiert. Bei einer Veranstaltung in Portugal bewarfen Rechte Jean Wyllys mit Eiern und beschimpften ihn. Die Organisatorin Otero meint: Natürlich werde man auch in Berlin Sicherheitsvorkehrungen treffen. Aber die Drohungen würden in keiner Weise ihre Arbeit einschränken. »Bolsonaro kann sich auf Widerstand gefasst machen.«

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