unteilbar: Die Sehnsucht nach dem linken Aufbruch

Bewegt euch! Über strategisches Wählen, gesellschaftliche Bewegung und das Regieren ohne die AfD.

  • Prisma, IL Leipizg
  • Lesedauer: 7 Min.

Am 24. August findet in Dresden die große #unteilbar-Demonstration statt. Frei nach dem Motto der Grimmaer Spitzenfabrik vielleicht »the last demonstration in liberty«? Denn die Landtagswahlen in Sachsen könnten eine Zäsur für Ostdeutschland darstellen. Umso wichtiger, dass es davor einen starken linksradikalen Ausdruck auf der #unteilbar-Demo geben wird.

Radikal und nicht allein

Seit Jahren gibt es in Deutschland eine diffuse Unzufriedenheit mit neoliberaler und postpolitischer Groko-Politik. Die gesellschaftliche Linke führt seit längerem eine Diskussion um neue Klassenorientierung, bis auf wenige Ausnahmen (Mietenbewegung, Gesundheitssektor, Klimagerechtigkeitsbewegung) gelingt es ihr aber noch nicht, den Frust der Leute massenhaft zu politisieren. Die Angst vor dem Rechtsruck hat breite gesellschaftliche Milieus politisiert, welche in den letzten Jahren auch in den sozialen Bewegungen aktiv geworden sind. Fernab des Höhenflugs der Grünen findet diese Politisierung aber keine wirkliche politische Übersetzung in der Linken. Dabei scheint sich so etwas wie ein »dissidentes Drittel« in der Gesellschaft zu zeigen. Menschen, die als Reflex auf die Polarisierung der Gesellschaft politisch links aktiv sein möchten. #unteilbar in Berlin war mit seinen 242.000 Demonstrierenden das Ausrufezeichen einer Sehnsucht nach einem linken Aufbruch, nach der Vision einer solidarischen Zukunft.

Alle zusammen gegen den Faschismus

Die Linke in Deutschland befindet sich im Angesicht des Rechtsrucks in einer strategischen Defensive. Es ist somit nicht die Zeit für Maximalforderungen, sondern es gilt breite Bündnisse zu schmieden. In diesem Sinne haben wir #unteilbar in Sachsen mitgegründet. Wir wollen uns als Linksradikale im progressiven Drittel der Gesellschaft verankern, um die Marginalisierung der Linken zu überwinden und uns auf zukünftige Angriffe gemeinsam vorzubereiten. Dieses Interesse teilen wir mit Vereinen, Verbänden und Institutionen, die von der AfD als Gegner*innen gesehen werden. Bereits jetzt werden linken und antifaschistischen Projekte Steine in den Weg gelegt, auch von der CDU. Solche Angriffe werden mit einer starken AfD in den ostdeutschen Landtagen qualitativ und quantitativ zunehmen. Schutz vor den kommenden Angriffen von Rechts bietet nicht mehr Abschottung und Konspirativität, sondern nur die gesellschaftliche Verankerung. #unteilbar ist in diesem Sinne mehr als klassische Bündnisarbeit. Wir versuchen Kämpfe zusammenzubringen und zu multiplizieren, ihnen Gehör zu verschaffen. Auf der Demonstration sind alle möglichen linken Kämpfe vertreten und bekommen zusammen ein Vielfaches ihrer jeweiligen Aufmerksamkeit – und sie zeigen, dass sie im progressiven Anspruch miteinander verbunden sind. Es ist dieser gemeinsame Ausdruck, der #unteilbar zu etwas Besonderem macht.

…und wir bleiben der Bewegung treu

Seit Wochen und Monaten wird diskutiert, wie eine Koalition aus AfD und CDU zu verhindern ist. Besonders kontrovers wurde der Aufruf zum taktischen Wählen diskutiert. Dies ist keine Lösung. Zum einen ist die CDU keine Mittel gegen die AfD, sondern eine Grundbedingung für deren Erfolg in Sachsen. Sie ist auch kein sicherer Garant für eine Koalition ohne die AfD. Für kurze Hoffnung haben die rot-rot-grün-Initiativen aus Dresden und Leipzig unter dem Namen »Damit Sachsen nicht kippt« und »Sachsen umkrempeln« gesorgt. Beiden Initiativen ist aber gemein, dass sie selbst in einer parlamentarischen Logik zeitlich einfach zu spät kamen. Dazu haben sie den Schulterschluss zu sozialen Bewegungen nicht gesucht und bisher noch keine Perspektive für einen gesellschaftlichen Aufbruch gezeigt. Diese Diskussionen beschränken sich auf Wahlaufrufe und Analyse von Prognosen. Sie verkennen, wie sich Mehrheiten auch kurzfristig noch ändern lassen: durch gesellschaftliche Bewegung.

Wir glauben, dass der Rechtsruck nur durch solche aufzuhalten ist. Diese werden dann auch Ausdruck in parlamentarischen Mehrheiten finden können. Die Wirksamkeit sozialer Bewegungen als antifaschistische Strategie zeigten zuletzt »Fridays for Future« und die Kampagne zur Vergesellschaftung von Wohnraum in Berlin: Seit ihrem Aufkommen hat sich die politische Debatte in Deutschland verschoben. Soziale und umweltpolitische Fragen werden so diskutiert, dass linke Lösungsansätze naheliegend erscheinen und sich wachsender Zustimmung erfreuen. Im Gegensatz dazu hat es die AfD zeitweise schwer, den öffentlichen Diskurs weiter zu bestimmen.

Wenn wir Sachsen also langfristig ändern wollen, braucht es eine starke, gut vernetzte Linke, die breiten gesellschaftlichen Milieus zugänglich ist. #unteilbar hat es geschafft, über die offenen Aktiventreffen viele Leute in ihr erstes politisches Projekt einzubinden und lang Aktive (wieder) zusammenzubringen. Daran gilt es auch nach der Wahl anzuknüpfen.

Sachsen gibt nicht auf

Aktuell gibt es drei Szenarien für den Wahlausgang: Entweder kommt es zu einer schwarz-blauen Koalition, zu einer Kenia-Koalition oder einer instabilen, CDU-geführten Minderheitenregierung. Für die Koalitionsverhandlungen und die unmittelbare Zeit nach der Wahl stellen sich also verschiedene Aufgaben für uns als Linke: Weiterhin durch gesellschaftlichen Druck eine Koalition mit der AfD für die CDU unmöglich machen – es gilt: kein Dammbruch in Sachsen! Dabei müssen wir auch überregional für Aufmerksamkeit sorgen und klarmachen, dass eine solche sächsische Landesregierung ein bundesweites Problem wäre. Im Falle einer Minderheitenregierung gilt ähnliches: Hier wäre darauf zu drängen, dass im Rahmen wechselnder Mehrheiten keine Zusammenarbeit mit der AfD erfolgt. Eine solche Koalition wäre sonst mit Sicherheit die Vorbereitung einer schwarz-blauen Koalition in fünf Jahren, indem sie die Zusammenarbeit mit der AfD normalisiert. Für lange und zähe Kenia-Koalitionsverhandlungen stellen sich andere Aufgaben: Eine solche Koalition wird das Gefühl einer postdemokratischen Alternativlosigkeit des Neoliberalismus bestärken. Eine Aufgabe für die Linke wäre es, bestimmte progressive Projekte zu unterstützen und auf einen Ausbau von Klimagerechtigkeitsprojekten sowie der Förderung der demokratischen Bildung zu pochen. So oder so: Wir müssen uns auf härtere Zeiten einstellen. Ob die AfD an der Macht ist oder nicht: Die Zeiten werden polarisierter und die Rechte wird mit allen Mitteln einen Frontalangriff auf uns Linke fahren.

Zuletzt müssen wir die aufgenommenen Kontakte in die ländlichen Regionen weiter ausbauen und vertiefen. Die Leute dort sind schon jetzt von veränderten politischen Mehrheiten bedroht. Ein massiver Wegzug von jungen und demokratischen Menschen aus Sachsen würde fatale Kräfteverhältnisse auf Jahrzehnte zementieren und Sachsen in Richtung der illiberalen osteuropäischen Nachbarstaaten orientieren. Leute, die aus ihren Regionen wegziehen wollen, müssen wir im Zweifel einladen, nach Dresden und Leipzig zu ziehen, um die progressiven Mehrheiten der Städte zu stärken und den Kontakt in die Regionen nicht zu verlieren. Selbiges gilt für unsere westdeutschen Freund*innen, denn: Der Osten ist nicht komplett im Arsch!

Die Zeiten sind düster aber: Wir halten zusammen und lassen die Angst nicht siegen. Niemand wird alleine gelassen! Kommt mit uns nach Dresden in den WannWennNichtJetzt-Block, unterstützt die weiteren Tourstopps und kommt zum #unteilbar Wahlabend am 1. September. Wir sehen uns auf der Straße!

Dieser Text ist Teil der»nd«-Debattenserie »Bewegt euch!«.

Lesen Sie auch: Kampf um die ostdeutsche Geschichte. Sebastian Bähr über die Wahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen.

Und: Mit antifaschistischen Grüßen aus Sachsen. Die Kampagne NIKA über sächsische Verhältnisse und wie ihnen begegnet werden kann.

Die kommenden Landtagswahlen könnten eine Zäsur für Ostdeutschland darstellen. Der Druck auf linke Projekte wächst hier bereits jetzt. Aufgeben? Mitnichten. Doch wie können sich Linke im Osten gegen den Rechtsruck wehren - und vielleicht sogar wieder in die Offensive kommen? Was braucht es für einen emanzipatorischen Wandel und einen neuen Aufbruch? Diese Fragen wollen wir auf unserem Debattenblog diskutieren. Du willst mitschreiben? Schreib uns eine Mail: f.hillebrand (@) nd-online.de; s.baehr (@) nd-online.de

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