Wasser, Wein und Wahrheit

Stephan Kaufmann trennt das Richtige vom Glaubwürdigen

Der Klimawandel macht gute Fortschritte. Das bewegt Menschen dazu, Maßnahmen zur Senkung des CO2-Ausstoßes zu fordern. Gegen die Klimaschützer werden alle möglichen Argumente aufgefahren - der Klimawandel sei eine Lüge, Klimaschutz schade der Wirtschaft, und überhaupt müssten erst einmal die Chinesen verzichten. Eine ganz eigene Kategorie von Einwänden aber folgt dem Muster: Die Klimaschützer halten sich ja selbst nicht an ihre Forderungen, sie jetten zum Beispiel um die Welt und predigen Flugverzicht - ihre Haltung sei daher nicht glaubwürdig.

Als solcher ist dies ein eigenartiger Einwand. Denn er berührt die Argumentation der Klimaschützer gar nicht. Der Satz »Die CO2-Emissionen steigen um x Prozent, das verstärkt den Treibhauseffekt, und daher müssen die Emissionen um y Prozent jährlich sinken« ist richtig, auch wenn die Person, die ihn äußert, ihr ganzes Leben fleischessend im Flugzeug verbringt. Es mag inkonsistent sein, Wasser zu predigen und Wein zu trinken. Doch die Predigt wird allein dadurch nicht falsch. Umgekehrt werden die Argumente für mehr Klimaschutz nicht dadurch richtiger, dass ihr Vertreter in einem Fass lebt.

Während die Leugnung des Klimawandels zwar ein schlechtes, aber immerhin sachliches Argument im Streit ist, bezieht sich der Vorwurf der Heuchelei nicht mehr auf den Streitgegenstand, sondern auf die Person des Gegners: Der Charakterfehler mangelnder Glaubwürdigkeit soll sein Argument entwerten.

Andere Menschen des Glaubens für würdig zu befinden ist ein Bedürfnis jener, die selbst die Schlüssigkeit von Argumenten nicht prüfen können oder wollen und daher darauf angewiesen sind, zu vertrauen - und zwar jenen, an die das eigene Schicksal delegiert ist: den Machthabern. Nach Glaubwürdigkeit streben daher Politiker. Während sich im normalen Leben das Vertrauen zwischen Personen schlicht einstellt oder nicht, das Sich-Aufeinander-Verlassen-Können also ein Ergebnis des Zusammenlebens ist, wird Glaubwürdigkeit in der Politik zu einer Eigenschaft des Politikers, die er herstellen will: Er macht die Menschen erfolgreich glauben, dass er meint, was er sagt. Oder er scheitert.

Im theoretischen Diskurs, zum Beispiel über Klimaschutz, ist die Frage nach der Glaubwürdigkeit also ein Instrument, um eine Argumentation zu stärken oder zu schwächen - und zwar ohne jedes Argument: indem nämlich nicht mehr über Positionen diskutiert, sondern über ihre Vertreter geurteilt wird. In der praktischen Politik dagegen ist Glaubwürdigkeit die Währung, auf die die Ohnmächtigen einen Blankoscheck ausstellen. Denn da sie in der Zeit zwischen den Wahlterminen dem Willen der Regierenden ausgeliefert sind, bleibt ihnen in Wahlzeiten nichts anderes übrig als zu entscheiden, wem sie glauben müssen - oder am wenigsten nicht glauben.

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