nd-aktuell.de / 27.08.2019 / Politik / Seite 5

Wie viel kommt nach Hartz IV?

LINKE diskutiert auf Vorstandssitzung, wie die Höhe der Mindestsicherung künftig ausfallen soll

Alina Leimbach

»Hartz IV, das ist Armut per Gesetz. Weg damit«, plakatierte die PDS bei den Landtagswahlen 2004 in Brandenburg. Mit ihrem Protest gegen die damals neu eingeführte Grundsicherung erreichte die Partei Rekordergebnisse. 15 Jahre später gibt es Hartz IV weiterhin. Und die LINKE überlegt, wie die Alternative ausgestaltet werden soll. Die derzeitige Forderung der Partei nach einer sanktionsfreien Mindestsicherung in Höhe von 1050 Euro steht schon seit 2013 im Programm.

Seither sind die Lebenshaltungskosten aber gestiegen. Zeit, den Vorschlag zur Höhe der Mindestsicherung – wie auch der solidarischen Mindestrente – anzupassen, findet die Parteispitze und will darüber bei der nächsten Vorstandssitzung am 1. und 2. September diskutieren. Dort konkurrieren gleich vier verschiedene Anträge miteinander. Ein inhaltlicher Beschluss der Parteispitze gilt als wichtiges Signal. Die letzte Entscheidung trifft allerdings der Parteitag. Dabei geht es um mehr als nur Zahlen, denn es spiegelt sich auch handfeste Kritik am bisherigen Konzept der LINKEN wider.

Für den Rentenexperten der Bundestagsfraktion, Matthias W. Birkwald, soll sich die Höhe der Mindestsicherung und der solidarischen Mindestrente am Schwellenwert der EU-Armutsgrenze orientieren. Derzeit käme man so auf einen Wert von 1120 Euro. Dieser soll seiner Meinung nach jährlich angepasst werden.

Die offiziellen EU-Statistiker berechnen die Armutsgrenze anhand der mittleren Einkommen. Wer weniger als 60 Prozent eines Medianverdieners in seinem Land zur Verfügung hat, gilt demnach als arm. »Das ist die anerkannte Methode, die Armutsschwelle zu messen, und sie schafft Vergleichbarkeit in der EU«, sagte Birkwald gegenüber »nd«.

1200 Euro – und damit 80 Euro mehr – fordert hingegen die Bundesarbeitsgemeinschaft Hartz IV. Hier wird das Warenkorbprinzip zugrunde gelegt, also Lebenshaltungskosten wie für Miete, Transport und Essen sowie deren Preissteigerungen in den letzten Jahren. In der Wissenschaft hat dieser Ansatz einige Anhänger*innen, weil die Armutsgrenze von 60 Prozent des Medianeinkommens ein rein statistischer Wert ist. Wer darüber liegt, hat nicht zwangsläufig genug zum Leben. Umgekehrt könnten die Lebenshaltungskosten aber auch unterhalb der 60-Prozent-Schwelle liegen.

Der dritte Vorschlag nennt auch die 1200 Euro, stützt sich aber ebenfalls auf die Daten der EU-Statistik. Hierbei wird der voraussichtliche Durchschnitt der kommenden Jahre errechnet. Der Wert soll dann ab dem neuen Wahlprogramm 2021 bis zur nächsten Bundestagswahl gelten.

Der vierte Vorschlag des Gewerkschafters Ralf Krämer orientiert sich ebenfalls an der 60-Prozent-Medianschwelle, fordert aber einen »runden Betrag« – 1150 Euro –, denn dieser sei einfacher zu merken. »Damit zahlenmäßige Forderungen von den Aktiven und Mitgliedern wirksam vertreten und Resonanz in der Bevölkerung erzielen können, müssen sie gut merkbar sein und über eine nicht zu kurze Zeit immer wiederholt werden«, heißt es im Papier. Die neue Forderung soll daher erst im neuen Wahlprogramm 2021 erhoben werden und die Legislaturperiode überdauern.

So weit, so harmlos. Doch in der weiteren Begründung enthält der Antrag eine handfeste Kritik an der bisherigen Forderung der LINKEN, die Bedarfsgemeinschaften abzuschaffen und die Mindestsicherung individuell zu zahlen. Für den Antragsteller Krämer »ein Problem«, denn Haushalte, in denen mehrere Personen zusammenleben, hätten meistens niedrigere Pro-Kopf-Ausgaben, weil sie beispielsweise Miete sparten. Das würde auch in der statistischen Berechnung der Armutsschwelle berücksichtigt. Ein Zweipersonenhaushalt läge mit zwei addierten Mindestsicherungen nach Vorstellung der LINKEN (derzeit 2100 Euro) um ein Drittel über der Armutsgrenze für diesen Haushaltstyp. »Viele Paar- und Familienhaushalte erreichen diese Nettoeinkommen trotz Erwerbstätigkeit nicht und müssen noch Steuern zahlen.« Krämer warnt daher: Bei einem erheblichen Teil der Menschen insbesondere in Regionen und sozialen Gruppen mit geringen Einkommen erhöhten besonders hohe Forderungen nicht die Unterstützung, »sondern führen eher zur Ablehnung der LINKEN und ihrer Forderungen«.

Katja Kipping sagte gegenüber »nd«, sie freue sich auf die anstehenden Beratungen. »Eine Mindestsicherung in angemessener Höhe ist notwendig und überfällig. Ich finde es aber auch sehr wichtig, grundsätzlich daran zu erinnern, dass mit dem Sanktionssystem bei Hartz IV generell Menschenrechte missachtet werden«, so die Parteichefin. Statt Druck auf Erwerbslose auszuüben, müsse die Arbeitsmarktpolitik endlich ausreichend passende Arbeitsmöglichkeiten schaffen.