»Nicht alles, was vorstellbar ist …

Kathrin Gerlof über das Hau-ab-Gesetz, den Bundespräsidenten und den unausforschbaren Kernbereich der Exekutive

  • Kathrin Gerlof
  • Lesedauer: 3 Min.

… darf auch politisch gangbar gemacht werden. Es gelten die Grenzen des Grundgesetzes. Die lassen sich nicht überspringen wie ein Gartenzaun.« Als unser zwölfter Bundespräsident, Frank-Walter Steinmeier, 2007 in einem Interview mit dem »Stern« diese kühne Behauptung wagte, konnte er nicht wissen, dass er später mal geradezu gezwungen sein würde, über den Gartenzaun zu hechten. Also in echt die Grenzen des Grundgesetzes - na sagen wir mal - auf Dehnbarkeit zu prüfen. Aber wer seine Weihnachtsansprache 2017 aufmerksam verfolgt hat, wird dem Mann keine Unehrlichkeit unterstellen. »Wir leben in einer Zeit, die uns beständig mit Unerwartetem konfrontiert«, hat er da gesagt. Sozusagen in Vorwegnahme von Entscheidungen, die er wird billigen müssen, auch wenn ihm möglicherweise das Herze bricht. Und auch wenn er sie hätte auf den letzten, aber schönsten aller Drücker verhindern können.

Vor wenigen Tagen wurde im Bundesgesetzblatt das so geheißene »Geordnete-Rückkehr-Gesetz« veröffentlicht. Erst damit hat es Gesetzeskraft und praktische Bewandtnis. Vorher war es einfach nur eine riesige Sauerei. Die ist es immer noch, aber jetzt eben Gesetz. Jener Teil der Bevölkerung, dem das Herz am rechten Fleck geblieben ist, nennt es deshalb das »Hau-ab-Gesetz«, was viel besser passt, sozusagen die verbale Faust aufs Auge ist. Zu »Hau ab« gesellen sich nun die ebenfalls in Kraft getretenen Gesetze zur Fachkräfteeinwanderung und zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Diese grausige Triade betrifft uns Deutsche wenig bis gar nicht. Also keine Sorgen machen. Wir sind und bleiben ja erwünscht oder mindestens auch dann geduldet, wenn wir zum Beispiel dem Staat und den Steuerzahlenden auf der Tasche liegen. Uns kann keiner rausschmeißen. Niemand darf uns wider die Verfassung vollständig von Sozialleistungen ausschließen, obwohl wir ihrer bedürfen. Keiner kann uns einfach in Abschiebehaft nehmen, die dafür notwendigen Gründe ausweiten, so dass es flink gehen kann mit dem Knast. Niemand darf uns in Massenunterkünfte sperren, nur weil irgendjemand auf der Straße brüllt »Mach das weg!«. Und wenn wir psychisch krank oder gar traumatisiert sein sollten, werden psychologische Stellungnahmen zugelassen, um uns die rechte Hilfe zu ermöglichen, anstatt uns in Krisengebiete zu expedieren.

Es gab nur einen Mann noch, auf dem die Hoffnung derer lag, die dachten und denken, dass dieses Hau-ab-Gesetz mit unserer wunderbaren Verfassung nicht wirklich vereinbar ist. Schlimmer noch, dass es sozusagen dumpfblöd übern Gartenzaun gesprungen, in gut gedüngter brauner Erde gelandet und gewachsen ist, was das Zeug hält.

Frank-Walter Steinmeier, unser Bundespräsident, hat einst den Bremer Murat Kurnaz in Guantanamo verschimmeln lassen, weil er ihn nicht zurückhaben wollte, obwohl die US-Amerikaner angeboten hatten, den Mann freizulassen. Wegen Unschuld sozusagen - Folter aus Versehen. Passiert, wenn die Gesetze schlecht sind.

Steinmeier also hätte, wäre der Wille da gewesen, damals Kurnaz aus dem Elend erlösen und heute verhindern können, dass dieses Hau-ab-Gesetz in Kraft tritt. Er ist darum gebeten worden. Allerdings von der falschen Partei, soviel muss gesagt sein. Es waren die Linken, nicht die Sozialdemokraten, die den ersten Mann im Staate aufgefordert hatten, da noch mal genau draufzuschauen.

Vielleicht hat Steinmeier ja geschaut und gedacht: So schlimm isses nun auch nicht. Und unterschrieben. Nachdem das Gesetz - was verfassungsrechtlich sehr bedenklich ist - als im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig eingestuft wurde. Die Bundesregierung verwies zu der Anfrage, ob die zuständigen Ministerien diese Zustimmungspflicht überhaupt geprüft hätten, auf einen »unausforschbaren Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung«.

Dieser Kernbereich - das ist nur eine steile These - scheint geeignet, die Grenzen des Grundgesetzes hin und wieder doch zu überspringen. Unser sportlicher Bundespräsident hat es vorgemacht.

Hoffentlich fragt noch mal jemand beim Verfassungsgericht nach.

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