Krachendes Koalitionsende

Rumäniens Sozialdemokraten setzen auf Minderheitsregierung und keine Neuwahlen

  • Felix Jaitner
  • Lesedauer: 3 Min.

Pünktlich zum Schulanfang steckt Rumänien in einer tiefen Regierungskrise. Am Montagnachmittag stimmte der Vorstand der liberalen Alde, Juniorpartner der sozialdemokratisch geführten Regierung, für eine Aufkündigung des Koalitionsvertrags und setzte der politischen Sommerpause damit ein jähes Ende.

Ministerpräsidentin Vitorica Dăncilă habe ihn bei mehreren Entscheidungen nicht konsultiert, begründete der frühere Ministerpräsident und Alde-Chef Călin Popescu-Tăriceanu den Entschluss seiner Partei, das Vertrauen in die Regierung sei »zutiefst erschüttert«.

Als unmittelbarer Grund für das Koalitionsende gelten Uneinigkeiten über das Vorgehen bei den Präsidentschaftswahlen am 10. November. Aussichtsreichster Kandidat ist Amtsinhaber Klaus Iohannis, der der bürgerlichen Oppositionspartei PNL nahesteht. Aktuelle Umfragen sagen ihm rund 41 Prozent der Stimmen voraus. Zusammen mit der sozialliberalen Pro Romania des früheren Ministerpräsidenten Victor Ponta unterstützt die Alde den unabhängigen Politiker und früheren Schauspieler Mircea Diaconu. Verhandlungen zwischen den Sozialdemokraten und der Alde über einen gemeinsamen Kandidaten scheiterten, als die PSD die Kandidatur Dăncilăs bekanntgab, obwohl sie als chancenlos gilt. Daraufhin stellte Popescu-Tăriceanu der Ministerpräsidentin ein knapp zweiwöchiges Ultimatum, das diese aber verstreichen ließ.

Doch mit ihrem Vorgehen könnte sich die PSD-Führung ins Abseits manövriert haben. Denn Dăncilă will mit einem Minderheitskabinett weiterregieren, obwohl die Sozialdemokraten in keiner der beiden Parlamentskammern über eine eigene Mehrheit verfügen. Die Regierungschefin muss nun kommissarische Minister anstelle der ausgeschiedenen Alde-Minister ernennen und sich in spätestens 45 Tagen mit ihrem neuen Kabinett einer Vertrauensabstimmung stellen.

Ob sie diese Abstimmung übersteht, ist unklar. Für eine stabile Regierungsmehrheit braucht die PSD einen neuen Koalitionspartner, ansonsten drohen vorzeitige Neuwahlen. Und auch die Opposition scheint diesen Kurs nicht mitzutragen. Die Nationalliberale Partei (PNL) kündigte bereits an, einen Misstrauensantrag zu stellen. Alde-Chef Popescu-Tăriceanu erklärte noch am Montag, dass seine Partei bei einer Vertrauensabstimmung gegen die Regierung votieren werde.

Eine Schlüsselrolle könnte deshalb der Partei der ethnischen Ungarn in Rumänien, der Demokratischen Union der Ungarn in Rumänien (UDMR), zufallen. Zwar kündigte der UDMR-Fraktionschef im Unterhaus, Attila Korodi, an, eine PSD-Minderheitsregierung »unter keinen Umständen« mitzutragen. Allerdings dürften die kommenden Wochen zeigen, ob es bei dieser Aussage bleibt oder ob Dăncilă durch Zugeständnisse in der Kommunalpolitik oder bei Rechten der ungarischen Minderheit die UDMR umstimmen kann.

Im Zuge der aktuellen Krise rücken derweil die Versprechen - und Versäumnisse - der Regierung in den Hintergrund. Dabei stand die sozialliberale Koalition in den vergangenen drei Jahren immer wieder vor dem Aus, zuletzt im Mai, als Liviu Dragnea eine dreieinhalbjährige Haftstrafe wegen Korruption antreten musste. Der langjährige Parteichef der Sozialdemokraten durfte aufgrund einer Verurteilung wegen Wahlbetrugs nicht selbst Premierminister werden, wahrte sich aber großen Einfluss, indem er wichtige Regierungs- und Parteiposten mit loyalen Gefolgsleuten besetzte, darunter auch Ministerpräsidentin Dăncilă.

Doch trotz der wiederholten Versprechen der Regierung, gegen Korruption und Amtsmissbrauch vorzugehen, zeigt der Fall Dragnea deutlich, dass sich in der Praxis wenig geändert hat. Dem Versprechen, die sozialen Gegensätze im Land zumindest abzuschwächen, sind die Sozialdemokraten ebenfalls nicht wirklich näher gekommen. Obwohl die Wirtschaft in den vergangen Jahren deutlich gewachsen ist, liegt das rumänische Bruttoinlandsprodukt pro Kopf nur bei 64 Prozent des EU-Durchschnitts, nur in Kroatien und Bulgarien ist der Wert noch niedriger.

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