nd-aktuell.de / 12.09.2019 / Politik / Seite 4

Gewaltige Kraftakte

Generaldebatte im Bundestag im Zeichen historischer Ansprüche und Ankündigungen

Uwe Kalbe

Digitalisierung und Klimaschutz, Klimaschutz und Digitalisierung. Wenn es um die Beschwörung dieser gesellschaftlichen Ziele geht, ist Deutschland längst Weltspitze. Am Mittwoch im Bundestag stellte die Bundeskanzlerin jedoch fest, dass Deutschland seinen vorderen Platz verloren hat, was den technologischen Weltmaßstab in diesen Bereichen angeht. »Das müssen wir uns eingestehen«, sagte Angela Merkel.

Eine besondere Gelegenheit, dies zu ändern, sind ganz offenkundig nicht die Beratungen des Bundeshaushalts 2020 in dieser Woche im Bundestag, sondern es ist der 20. September. An diesem Tag stehen außer bundesweiten Protesten gegen die Versäumnisse der Politik beim Klimaschutz auch die Beschlüsse des Klimakabinetts bevor, also genau der auf den Straßen zur gleichen Zeit kritisierten Politik. Eine »gewaltige Kraftanstrengung« braut sich da zusammen. Jedenfalls kündigte Merkel dies in ihrer Rede am Mittwoch im Bundestag an. Es gehe darum, die Zukunftsfähigkeit Deutschlands zu sichern, eine Menschheitsherausforderung zu bewältigen. Sicher scheint derzeit allein eine »Bepreisung« des CO2-Ausstoßes, die von anderen einfach CO2-Steuer genannt wird. Die eingenommenen Mittel, so versicherte Merkel am Mittwoch, würden den Bürgern allerdings zurückgegeben, damit sie »den Umstieg gemeinsam mit uns schaffen«.

Was die Menschheitsherausforderung Klimarettung kosten wird, das ist dem Haushaltsentwurf von Bundesfinanzminister Olaf Scholz nicht zu entnehmen - weil die Beschlüsse des Klimakabinetts ja noch nicht gefällt sind. Gerade das aber empört die Opposition im Bundestag umso mehr, wie auch in der Generaldebatte zum Haushalt zu vernehmen war, die auch als Elefantenrunde bezeichnet wird. Und bot Anlass, an der Seriosität der Regierungsziele insgesamt zu zweifeln. Er hoffe, dass es am Ende nicht doch wieder nur um Klein-klein geht, warnte FDP-Fraktionschef Christian Lindner vor zu wenig Kraftanstrengung. Eine neue Mehrwertsteuer auf Wurst werde das Klima nicht retten. Er dachte dabei offenbar an die Kraft eines »schlafenden Riesen« - als solchen bezeichnete er die nach seiner Auffassung brachliegende energetische Gebäudesanierung. Und Prämien für Aufforstung statt einem Verbot von Ölheizungen forderte Lindner auch. Mit Askese, Verbot und Verzicht werde man vielleicht Moralweltmeister, »aber niemand wird uns auf der Welt folgen«.

Katrin Göring-Eckhardt war nicht bereit, Lindners Kraftanstrengung für den Wald zu würdigen. Vor seinen Kenntnissen in Sachen Waldpolitik - »da fürchten sich doch Rotkäppchen und der Wolf gleichzeitig«, rief die Fraktionsvorsitzende der Grünen Lindner zu. Um dann von der Bundesregierung ebenfalls eine Kraftanstrengung zu fordern, nämlich statt nur ständig Maßnahmen anzukündigen tatsächlich etwas zu tun für das Klima. Sie sprach sich für Investitionen aus, denn die Zukunft der Natur gebe es »nicht zum Nulltarif«, so Göring-Eckhardt. Aber eine Abschaffung der Schwarzen Null forderte die Grüne nicht, sondern ihre Reform. Was die Bundesregierung vorgelegt habe, sei eine »doppelte Null - kein Plan und kein Geld«.

Zu einer wahren Kraftanstrengung machte sich SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich auf, als er in seiner Rede über den besonderen historischen Platz der Sozialdemokratie und ihre Jahrhundertaufgabe referierte, immer wieder für Fortschritt zu sorgen. Demagogen hätten die Welt verführt und betrogen. »Wir werden uns ihnen in den Weg stellen; und der beste Ort hierfür ist dieses Parlament.« Die SPD wolle »kluge, dem Gemeinwohl verpflichtete Politik« betreiben, um Spaltungen in der Gesellschaft so klein wie möglich zu halten.

Dies beeindruckte offenbar den Fraktionsvorsitzenden der LINKEN, Dietmar Bartsch, der nach Mützenichs Rede die Hoffnung äußerte, dass es irgendwann einen Mitte-links-Aufbruch geben könnte. Mützenichs Rede korrespondiere allerdings so gar nicht mit dem Entwurf des Haushaltes, sagte Bartsch. Der sei vielmehr durch Ideenlosigkeit geprägt und kein bisschen visionär - »Helmut Schmidt würde den nicht mal zum Arzt schicken«. Die Große Koalition sei in der Substanz eine Ankündigungskoalition, kritisierte Bartsch. »Strenge Schuldenbremse statt notwendiger Investitionen, Militär- statt Sozialabgaben erhöhen und massenhafte Kinder- und Altersarmut zulassen. Das ist die Priorität in Ihrem Haushalt.«