Werder bläst Baumblütenfest ab

Die Stadt will das traditionsreiche Volksfest verändern - und lässt es vorerst ausfallen

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 5 Min.

Beim Baumblütenfest in Werder (Havel) handelt es sich um das größte Volksfest in Ostdeutschland - und eines mit Tradition. Das im Jahr 2020 ins Wasser der Havel fallende Fest wäre das 141. seiner Art gewesen. Die Stadtverwaltung teilte in einer Presserklärung mit, das Vergabeverfahren für die Ausrichtung des Festes in den Jahren 2020 bis 2022 mit einer Option für die Jahre bis 2025 sei erfolglos geblieben. »Wir haben einen Partner gesucht, mit dem wir das Baumblütenfest unseren Vorstellungen entsprechend neu ausrichten können.« So formulierte es Bürgermeisterin Manuela Saß (CDU). Nun erfordere die »Neuausrichtung« offenbar mehr Zeit.

Der bisherige Vertrag mit der Wohlthat Entertainment GmbH Berlin war ausgelaufen. Zwar hatte auch dieses Unternehmen ein neues Angebot vorgelegt, doch soll es »nicht zufriedenstellend« gewesen sein. Medien berichteten, es habe zu der vom Veranstalter verlangten Geldsumme und auch über die Kosten für Sicherheitsvorkehrungen keine Einigkeit erzielt werden können. Den Ausschlag gaben demnach neue Sicherheitsanforderungen nach dem Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz und auch das veränderte Verhalten der Besucher.

Alljährlich pilgerten Hunderttausende im Frühling nach Werder (Havel), um es sich unter blühenden Obstbäumen wohl sein zu lassen. Unweit von hier hat Christian Morgenstern seine berühmten »Galgenlieder« verfasst, denn der in diesen Texten auftauchende Galgenberg befindet sich in Werder, und Sophie, das Henkersmädel, war die Tochter des hiesigen Gastwirts. Längst aber ist es mit dem Galgenhumor vorbei.

Das Baumblütenfest war auch eine Belastung für die Stadt. Weil sie im Berliner Speckgürtel liegt und zudem noch in der Nähe von Potsdam, hat die Kommune heute rund doppelt so viele Einwohner wie zu DDR-Zeiten. Nahezu jeder Fleck ist inzwischen verkauft und bebaut. Das hat den Charakter des Ortes verändert. Viele zugezogene Bürger fühlen sich von dem einwöchigen Fest genervt. Der Trubel ist ihnen ein Dorn im Auge. Um nicht vollkommen abzustürzen, erwägen die Obstbauern der Region nun ein alternatives Baumblütenfest im kleineren Rahmen. Denn sie haben bereits Obstwein angesetzt, den sie nun auch ausschenken möchten. Bei ihren Plänen würden die zentralen Flächen - die Insel Werder selbst und die Meilen am Weg hoch zur Bismarckhöhe zwar außen vor bleiben. Doch könnte immer noch Obstwein auf den Höfen kredenzt werden.

Um Werder herum liegt das Havelländische Obstanbaugebiet, das zu DDR-Zeiten für die devisenträchtige Versorgung von Westberlin als Zentrales Jugendobjekt der FDJ ausgebaut und entwickelt worden war. Nach der Wende hatten viele Obstbauern die Bäume auf ihren zurückgewonnen Plantagen einfach umgehauen, um Bauland zu gewinnen. Ein bekannter Obstsaft-Anbieter vermarktete nach 1990 die Marke »Werder«, bis man ihm auf die Schliche kam: Kein einziger Tropfen Saft aus Werder war in seinen Flaschen.

Was mit dem Fest angestrebt worden ist, hat diese Veranstaltung auch beeinträchtigt. Die ständige Zunahme der Besucherzahl auf gut eine halbe Million ließen das Baumblütenfest über die Maßen anschwellen. Es gab immer wieder Ärger mit Betrunkenen und Randalierern, die in Gärten und an Häuser urinieren. Gestört fühlten sich Einwohner von Sex in Hauseingängen, Drogenkonsum, Schlägereien und den zahlreichen alkoholisierten Minderjährigen. Für die Polizei waren das Großkampftage, sie registrierte im Durchschnitt 300 Straftaten. Seit geraumer Zeit wollte die Kommunalpolitik eine Neuausrichtung: weniger Rummel, mehr Tradition, Festumzug und Nachhaltigkeit.

Der im August schon aufkeimende Verdacht, dass es im Zuge eines neu zu erarbeitenden Konzeptes für das Baumblütenfest ein oder zwei Jahre lang keine Festmeile geben könnte, scheint nun Wirklichkeit zu werden.

Zunächst sollen alle Haushalte mit einem Brief informiert werden, dass es 2020 und vielleicht auch 2021 kein Baumblütenfest geben werde und wie man weiter vorgehen wolle. Am 27. November um 18 Uhr soll es auf der Bismarckhöhe, Hoher Weg 150, eine Einwohnerversammlung geben. »Wir möchten den Werderanern die Erfahrungen und Entwicklungen der vergangenen Jahre darstellen und das Ergebnis des Vergabeverfahrens erläutern«, erklärte Bürgermeisterin Saß. Bei der Versammlung werde auch die Möglichkeit für eine erste Diskussion bestehen. Im Winter und Frühjahr 2020 sollen bei einer Einwohnerbefragung Meinungen, Sorgen und Wünsche der Bevölkerung zusammengetragen werden. Weiterhin soll bei den Unternehmen und Vereinen, die sich bisher am Fest beteiligten, nach Erfahrungen und Ideen für die Zukunft gefragt werden. Im Frühsommer, wenn das Baumblütenfest erstmals nicht stattgefunden hat, soll es mehrere Workshops geben. Die Fragen dabei sollen lauten: Was fehlt uns, wenn das Baumblütenfest ausfällt? Was soll erhalten bleiben? Was kann noch dazu kommen? Am 19. September soll die Stadtverordnetenversammlung die skizzierte Bürgerbeteiligung beschließen. Dazu gibt es eine Vorlage der Bürgermeisterin.

Einige Obstbauern wollen sich derweil gegen die Absage wehren und am Donnerstag kommender Woche vor dem Rathaus demonstrieren. Bauer Michael Schultz sagte dem rbb, das Fest habe viele Höhen erlebt und viele Tiefs überstanden. Da könne sich die Stadt nicht einfach hinstellen und sagen, das Fest finde nicht statt.

Bürgermeisterin Saß stellte daraufhin am Donnerstag klar, es werde »keine Unterstützung und auch keine Erlaubnis für eine Ersatzfestmeile im Stadtgebiet geben«.

Manfred Schmidt, Vorsitzender des Werderschen Obstbauvereins, sagte, dass sich sein Verein an der Debatte über die Zukunft des Baumblütenfestes beteiligen werde. »Wir begrüßen die Zäsur«, sagte er. Die Baumblüte sei davon abgesehen ein biologisches Ereignis, das auch ohne großes Brimborium auf den Höfen begangen werden könne. Seite 11

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