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Lebende Verlierer

Sieben Tage, sieben Nächte über Untote und Kapitalismuskritik.

Untote haben als Metapher der Kapitalismuskritik eine lange Tradition. Schon Karl Marx schrieb 1867: »Das Kapital ist verstorbne Arbeit, die sich nur vampyrmäßig belebt durch Einsaugung lebendiger Arbeit.« Der Autor Thomas Steinfeld vermerkt 150 Jahre später: »Vampire können ewig leben. Das Kapital hegt ähnliche Absichten.« Ein Kollege des Vampirs hat derzeit Konjunktur: der Zombie. Wir erleben eine »Zombifizierung« der Wirtschaft, klagen heute allerdings nicht die Kritiker des Kapitalismus, sondern seine Fans unter den Ökonomen. Die Wirtschaft werde von Untoten bevölkert.

Schuld an dieser »Zombifizierung« sollen die Notenbanken sein. Sie senken die Zinsen immer weiter, diese Woche hat die Europäische Zentralbank noch einmal nachgelegt. Das macht Kredite »künstlich« billig. Dieses billige Geld ermöglicht auch solchen Unternehmen eine Weiterexistenz, die unprofitabel sind und daher eigentlich tot sein müssten. Laut Industrieländerclub OECD ist der Anteil dieser Zombie-Unternehmen von 2007 bis 2016 weltweit von 7,5 auf 12,5 Prozent gestiegen.

Zwar produzieren die ihrer Seele - dem Profit - beraubten Untoten Güter; sie lassen arbeiten, zahlen Löhne und Steuern, sie wachsen vielleicht sogar. Aber das spricht aus Sicht der herrschenden Ökonomie nicht für sie. Sie sind der Existenz unwürdig, da sie ihren Eigentümern oder den Banken keine angemessene Rendite einspielen können und nur mithilfe billiger Kredite durch die Nacht der lebenden Loser wanken.

Zombies - das weiß man aus zahlreichen Horror-Filmen - vegetieren nicht still vor sich hin, sie irren halbverwest umher und sind gefährlich, ebenso wie die Vampire. Ein Biss, und der Lebende wird einer von ihnen. Übertragen auf die heutige Situation bedeutet das: Zwar sind die Zombie-Unternehmen eigentlich tot, sie müssten vom Markt verschwinden und Platz für die gesunden Unternehmen schaffen. Doch geschieht dies nicht, sie fristen weiter ihr untotes Dasein, produzieren Dinge und Dienstleistungen, tragen zur allgemeinen Überproduktion bei, verschärfen dadurch den Wettbewerb und bestreiten den Konkurrenten ihre Existenz.

Mit der Zombie-Metapher gelingt den Ökonomen das Kunststück, weltweit existierenden Reichtum in Form von Fabriken, Maschinen, Anlagen, Waren, Rohstoffen als Gefahr für die Menschheit darzustellen. Und damit haben sie ja auch irgendwie recht, ist doch der Kapitalismus die welthistorisch einzige Produktionsweise, in der nicht ein Mangel, sondern der Überfluss an Gütern ein Problem darstellt. Daher muss der Reichtum systemgemäß in Krisen regelmäßig vernichtet werden, damit der verbleibende Reichtum wieder seinem eigentlichen Zweck dienen kann: sich zu vermehren und die Eigentümer reicher zu machen. Stephan Kaufmann

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