Stellvertreter-Streik für Gerechtigkeit

Seit acht Tagen streiken 46 000 Arbeiter bei General Motors in den USA

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Bilder gleichen sich, aber sie kommen aus dem ganzen Land, seit acht Tagen schon. Meist sind es nur kleine Grüppchen, die an Streikposten vor den Werkstoren für Fotos posieren, vorbeifahrende Autos zum Hupen auffordern und ihre Schilder schwenken: »Wir streiken« steht darauf. Seit dem 16. September streiken rund 46 000 Beschäftigte von General Motors in 33 Fabriken und in 22 Warenhäusern im ganzen Land. Organisiert wird der erste Großstreik bei dem Autohersteller seit 2007 von den United Auto Workers of America (UAW). General Motors entsteht so pro Tag ein Schaden von 50 und 100 Millionen Dollar.

Es ist eine Stellvertreterauseinandersetzung für die Autobranche im Land. Wie in der Vergangenheit haben die Tarifverhandlungen Pilotcharakter, es wird bei einem der drei großen US-Autohersteller verhandelt, dessen Tarifvertrag in der Vergangenheit oft Vorbild war. Dieses Jahr sucht die UAW bei General Motors (GM) den Konflikt. Der Konzern hat 2018 rund acht Milliarden Dollar Profit gemacht und gleichzeitig dank Steuertricks in den USA null Dollar Steuern gezahlt. Vor allem aber - und auch mit der Empörung darüber wirbt die UAW für Unterstützung der eigenen Forderungen - haben die US-Autobauer nach der Finanzkrise 50 Milliarden Dollar an Staatshilfe erhalten und verlagern nun trotz Profitabilität Fabriken ins Ausland. Im November vergangenen Jahres hatte General Motors angekündigt, vier Fabriken in den USA zu schließen.

General Motors bietet eine Gehaltserhöhung von zwei Prozent im ersten und dritten Jahr des vierjährigen Tarifvertrag sowie zwei Einmalzahlungen. Stattdessen will die UAW eigentlich den Abbau des gestaffelten Bezahlsystems, das Arbeitern erst nach acht Jahren Betriebszugehörigkeit den Lohn langjährig Beschäftigter zahlt. Die Gewerkschaft will zudem die Einführung eines Systems zur Übernahme von Leiharbeitern. Aktuell stellen diese rund sieben Prozent der GM-Beschäftigten. Vor allem aber will die UAW, dass das GM-Management die Arbeiter an den Profiten des Unternehmen beteiligt, nachdem Arbeiter und UAW mit ihren Konzessionen mithalfen, den Konzern in der Finanzkrise zu retten.

Dass nun aggressiver gestreikt wird, hat aber auch mit der strategischen Defensive der UAW zu tun. Wie viele andere US-Gewerkschaften hat sie nach Jahren gewerkschaftsfeindlicher Politik Macht und Mitglieder verloren, zuletzt scheiterte sie im Juni am zweiten Versuch, die Volkswagen-Fabrik in Chattanooga Tennessee zu organisieren. Die erhoffte gewerkschaftliche Organisierung im Süden des Landes mit seinen neuen Autofabriken bleibt damit bisher aus. Zudem ist die UAW-Führung in einen Korruptionsskandal um den Missbrauch von Gewerkschaftsgeldern und Schmiergeldzahlungen verwickelt. Dass die Gewerkschaftsbasis eine kämpferische Verhandlungsführung will, hatte sich schon beim Abschluss des letzten Tarifvertrages 2015 gezeigt. Nur mit knapper Mehrheit war der von den Mitgliedern abgenickt worden.

General Motors kämpft genau wie die deutsche Automobilindustrie mit der Umstellung auf Elektromobilität. Als Teil des Angebotes an die Gewerkschaft hat GM angeboten, in Detroit eine Fabrik zur Herstellung von Elektrolastern zu bauen und in einer ehemaligen GM-Fabrik in Lords-town, Ohio, zukünftig Batterien für Elektroautos herstellen zu lassen. Doch wann diese Arbeit aufgenommen wird und wie viele Menschen in den Fabriken arbeiten werden, ist unklar. Die Fertigung in Lordstown ist symbolisch wichtig, weil Trump im Wahlkampf 2016 die Nichtschließung dieser und anderer Standorte gefordert hatte. Wie und ob er sich auf die Seite der GM-Arbeiter stellen will, ist sich Trump offenbar noch unsicher. GM und die Gewerkschaft sollten zu einem »Deal« kommen, meinte er Anfang der Woche ausweichend. Für Empörung sorgte die GM-Entscheidung, die Zahlung der Gesundheitskosten für die streikenden Arbeiter einzustellen. Die UAW erklärte, die Ausfälle mit dem Streikfonds der Gewerkschaft abfangen zu wollen. Der zahlt den Streikenden ab letzten Montag wöchentlich 250 Dollar aus - deutlich weniger, als diese sonst verdienen. Der bisher längste GM-Streik fand übrigens 1970 statt und dauerte 67 Tage.

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