Klimastreik-Blockade: So gewaltvoll ging die Polizei in Hamburg vor

Schmerzgriffe gegen Minderjährige, rassistische Sprüche: Die Polizei hat am Wochenende eine friedliche Blockade brutal geräumt. Supernova war dabei.

  • Lou Zucker
  • Lesedauer: 6 Min.

»Stehen Sie jetzt auf?«, fragt der Polizist und stößt die junge blonde Frau im grünen Parka gegen die Schulter, die auf dem Asphalt sitzt. Sie ist vielleicht sechzehn oder siebzehn Jahre alt. Der große Klimastreik ist gerade in der Hamburger Innenstadt zu Ende gegangen. Nun blockiert sie zusammen mit etwa 300 Anderen die Lombardsbrücke - eine zentrale Zufahrtsstraße zum Hauptbahnhof.

Die junge Frau antwortet nicht, grinst ihre Freundin mit den langen Dreadlocks an, bei der sie sich eingehakt hat. »Wir fangen hier an«, befiehlt der Polizist seinen Kollegen. Dann klemmt er den Kopf der blonden Frau von hinten mit dem Unterarm ein, verdreht dabei ihren Hals, sie schreit vor Schmerz. »Arm raus«, befehlen die Polizisten. Die junge Frau hält ihnen die Arme entgegen. »Ich mach doch nichts«, ruft sie, gedämpft durch den dicken schwarzen Polizeihandschuh in ihrem Gesicht. »Sie hat Schmerzen«, schreien die Umstehenden. Zwei Polizisten kommen von links und rechts dazu, verdrehen ihr den Arm auf dem Rücken und biegen mit Kraft ihre Handgelenke um. Eine Weile halten sie sie so am Boden. Selbst wenn sie wollte, könnte sie jetzt nicht mehr aufstehen. Dann tragen die Polizisten sie an den umgebogenen Händen weg.

Es sind Griffe, die sehr schmerzhaft sind, aber kaum nachweisbare Spuren am Körper hinterlassen

Die junge Frau im Parka ist nicht die Einzige. Die Polizei traktiert am frühen Freitag Nachmittag fast alle Blockierenden an der Lombardsbrücke mit Schmerzgriffen: Köpfe werden verdreht und eingeklemmt, Hände gegen den Hals oder auf Mund und Nase gepresst, Arme verdreht, Finger und Handgelenke umgebogen. Es sind Griffe, die sehr schmerzhaft sind, aber kaum nachweisbare Spuren am Körper hinterlassen. Teilweise werden die Demonstrierenden minutenlang so festgehalten. Auch dann, wenn sie keinen Widerstand leisten, nicht eingehakt sind. Viele von ihnen sind dem Aussehen nach minderjährig, einige nach eigener Aussage erst dreizehn Jahre alt

Zur Räumung von Sitzblockaden gilt in Deutschland das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Das heißt: Der Zweck einer Polizeimaßnahme muss legitim sein, sie muss geeignet sein, um diesen Zweck zu erreichen und sie muss erforderlich sein ­ das ist sie, wenn kein milderes Mittel zur Verfügung steht. Über die Legitimität des Zwecks lässt sich streiten. Dass die Schmerzgriffe geeignet waren, um die Demonstrierenden zum Gehen zu bewegen erscheint jedoch zweifelhaft: Schließlich konnten sich die meisten in den Griffen nicht einmal mehr bewegen, geschweige denn aufstehen. Mildere Mittel hätten in jedem Fall zur Verfügung gestanden: Früher am Nachmittag wurden die Blockierenden noch weggetragen, größtenteils ohne Schmerzgriffe. Sie leisteten zivilen Ungehorsam, blieben dabei jedoch friedlich. Aus den Blockaden heraus kam es zu keinen körperlichen Angriffen.

»ruhig, besonnen und professionell«

Auf vielfache mediale Kritik hin schreibt Polizeipressesprecher Timo Zill am nächsten Tag auf Twitter, die Einsatzkräfte seien »ruhig, besonnen und professionell« vorgegangen. Über die friedliche Massendemo von Fridays for Future heißt es: »Das war toll!« und weiter: »Schade, dass einige Wenige versuchen, auf diese Weise den friedlichen Protest für ihre Zwecke zu missbrauchen«.

Es ist 16:30 Uhr als sich ein paar Aktivist*innen vom Bündnis »Sitzen bleiben!« in weißen Schutzanzügen von der Abschlusskundgebung entfernen Plötzlich fangen sie an zu rennen. Sie halten ein Transparent mit der Aufschrift »System change noch climate change«. Andere Gruppen folgen ihnen, keine fünf Minuten später sitzen sie auf der vierspurigen Lombardsbrücke, die über die Binnenalster zum Hauptbahnhof führt. Die Blockade wächst, bald sind es an die 250 Menschen. Sie rufen »A-anti-anticapitalista«, über einen großen Lautsprecher wird eine Sendung des freien Radios FSK übertragen. Vom anderen Ende der Alster hallen die letzten Reden der Kundgebung herüber.

»Das Klimapaket erfüllt keine von unseren Forderungen«

Andere Gruppen, die es nicht mehr rechtzeitig geschafft haben und von der Polizei aufgehalten wurden, haben sich am anderen Ende der Brücke zu einer kleineren Blockade mit etwa 50 Menschen formiert, eine weitere Gruppe blockiert die Zufahrt zur Brücke. Über die Lautsprecher hört man im Radio, dass auch die parallel verlaufende Kennedybrücke blockiert ist. Auch am Stephansplatz und am Dammtorbahnhof kommt es laut Medienberichten zu Blockaden.

Marthe sitzt im weißen Schutzanzug in der ersten Reihe der Blockade. Ihre glatten blonden Haare trägt sie kinnlang und im Mittelscheitel, ihr Gesicht ist schmal. Sie ist zwanzig Jahre alt, hat bereits mit »Ende Gelände« Schienen blockiert und hat mit »Sitzenbleiben!« die heutige Blockade mit geplant. »Wir machen eine Sitzblockade, weil wir sagen, die Politik ist sitzengeblieben mit ihrem Klimakabinett, das reicht uns nicht«. Früher am Nachmittag hatte die Bundesregierung ihre Klimapaket verabschiedet - später heißt es in der Tagesschau, dass selbst die Experten, die die Regierung beraten hatten, die Maßnahmen für mangelhaft halten. Die Klimaziele bis 2030 könnten so nicht erreicht werden. »Das Klimapaket erfüllt keine von unseren Forderungen«, sagt Marthe. Sie fordert mit »Sitzenbleiben« eine autofreie Innenstadt, kostenlosen öffentlichen Nahverkehr und den Kohleausstieg. »Und wir wollen einen Systemwandel«, sagt sie. Dass sich die Klimakatastrophe im Kapitalismus abwenden lässt, glaubt sie nicht.

Sobald die vier Spuren wieder frei sind, sitzt bereits die nächste Blockade

Zum globalen Klimastreik waren in Hamburg laut Polizeiangaben 70.000 Menschen gekommen, die Veranstalter*innen sprechen von 100.000. In jedem Fall waren es so viele, dass die Route einmal um die zentral gelegene Binnenalster herum kaum ausreichte - Einige mussten eineinhalb Stunden warten um überhaupt loszugehen, die Ersten kamen da schon wieder am Ausgangspunkt an. Die Polizei war während der Massendemo kaum präsent gewesen. Jetzt hört man die Sirenen, etwa 40 Polizeiwannen stellen sich in der Nähe der Blockade auf. Auf der anderen Seite der Brücke steht ein Wasserwerfer parat.

Die Polizei trägt die Blockierenden weg. Eineinhalb Stunden dauert das, so viele sind es. Sobald die vier Spuren wieder frei sind, sitzt bereits die nächste Blockade. Sie ist kleiner und weniger formiert als die erste, nur wenige haken sich ein. Aus dem Lautsprecher schallt Reggae und Dubstep, Einige tanzen.

»Geh arbeiten!«

Es ist 18:00 Uhr. Die Polizei wird ungeduldig. Die großen Medien, von denen einige zu Beginn noch da waren, sind jetzt alle weg. Das Einsatzteam wird ausgetauscht. Wenn vorher Schmerzgriffe nur bei Einzelnen angewandt werden, trifft es jetzt fast jeden. Ein junger Mann mit blauen Haaren wird aus einer Vierergruppe herausgezerrt, auch ihm werden die Handgelenke verdreht, er schreit. Seine Augen sind feucht, als er davon erzählt, sein Atem schnell. Er ist 16 Jahre alt, wie er Supernova sagt, der jüngste seiner Begleiter sei 13 Jahre alt. Ein junger Schwarzer Mann, ebenfalls um die 16, wird von Polizisten auf den Boden gedrückt, angeblich weil er sie mit seinem Handy filmte. Seine Lippe blutet, seine Wange ist zerkratzt.

Ein junger Mann of Color erzählt, ein Polizist habe ihm beim Wegtragen gesagt, er solle arbeiten gehen. »Ich war heute sogar schon arbeiten«, erzählt er Supernova, doch das habe ihm der Polizist nicht geglaubt.

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