Das Wasser steht uns schneller bis zum Hals

Neuer Sonderbericht des Weltklimarats zu Ozeanen und Eisgebieten warnt vor stark steigendem Meeresspiegel

  • Sandra Kirchner
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Meeresspiegel steigt stärker an als bislang erwartet, Gletscher und Permafrostböden tauen schneller, und die Ozeane erhitzen und versauern immer mehr - das sind die Kernaussagen aus dem neuen Sonderbericht des Weltklimarates IPCC zum Einfluss der Erderwärmung auf die Ozeane und die Kryosphäre (Eisgebiete), der am Mittwoch in Monaco vorgestellt wurde. Auch extreme Wetterereignisse an den Küsten wie Stürme werden zukünftig heftiger und häufiger.

Der weltweite Verlust der Eisgebiete hat laut den Wissenschaftlern massive Konsequenzen für die Menschheit: »Das offene Meer, die Arktis, die Antarktis und die hohen Berge mögen vielen Menschen weit weg erscheinen«, sagte der IPCC-Vorsitzende Hoesung Lee in Monaco. »Aber wir sind von ihnen abhängig und werden in vielerlei Hinsicht von ihnen beeinflusst.« Eisgebiete und Meere haben weiträumig Auswirkungen auf Wetter und Klima, die Gletscher speisen Flüsse und liefern Süßwasser. In küstennahen Regionen beruht die Ernährung auf Fisch und Meeresfrüchten. Aber auch für Transport und Handel, für den Tourismus und für die Kultur sind die Meere unerlässlich.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Für den neuen IPCC-Sonderbericht haben über 100 Forscher mehr als zwei Jahre lang gut 7000 wissenschaftliche Publikationen zu dem Thema ausgewertet. Die Kurzfassung für politische Entscheidungsträger wurde jetzt auf der Sitzung des Weltklimarats in Monaco angenommen, übrigens gegen den Widerstand des Öllandes Saudi-Arabien. Teilnehmer berichteten, die Saudis hätten die »wissenschaftlichen Grundlagen infrage gestellt«.

Das ist völlig unverständlich für die Klimaforscher, da die Auswirkungen immer deutlicher zutage treten. In der jüngsten Vergangenheit haben sich die Anstiegsraten beim Meeresspiegel mehr als verdoppelt. Waren es im vergangenen Jahrhundert noch durchschnittlich 1,4 Millimeter jährlich, so liegt die Rate mittlerweile bei 3,6 Millimeter. Und nicht nur das: Falls die weltweiten CO2-Emissionen auf dem gegenwärtig hohen Niveau verbleiben, werden die Meeresspiegel bis Ende des Jahrhunderts jährlich sogar um weitere 15 Millimeter steigen, prognostizieren die Forscher. Das wären summa summarum zwischen 84 bis 110 Zentimeter zusätzlich. Damit korrigieren die Wissenschaftler vom Weltklimarat ihre früheren Berechnungen zum Meeresspiegelanstieg um 10 bis 20 Prozent nach oben.

Treiber dieser Entwicklung ist das schnellere Abschmelzen der grönländischen und antarktischen Eismassen. Jährlich gelangen dadurch über 400 Milliarden Tonnen Wasser ins Meer. Die steigenden Temperaturen im Meer tun ein Übriges: Das Wasser der Ozeane dehnt sich dadurch immer weiter aus.

Durch den steigenden Meeresspiegel und weitere absehbare Veränderungen in den Ozeanen werden wahrscheinlich einige kleine Inselstaaten unbewohnbar. 65 Millionen Menschen leben derzeit in solchen Gebieten. Aber auch Hunderte Millionen Menschen, die in Küstennähe leben, müssen sich auf einen Anstieg der Meere einstellen. Ohne größere Investitionen in Deiche wären ganzen Gegenden nicht mehr bewohnbar.

Doch auch häufigere Unwetter werden durch die maritimen Veränderungen wahrscheinlicher, zumal der Anstieg des Meeresspiegels die Folgen von Sturmfluten noch verschlimmert. Bereits ab 2050 seien hier jährlich Extreme wie Überschwemmungen und Riesenwellen möglich. »Zahlreiche« große Küstenstädte wie etwa New York und Amsterdam müssten damit rechnen. Auch die Heftigkeit von Wirbelstürmen werde zunehmen. Extremereignisse, die es sonst nur einmal pro Jahrhundert gab, könnten ab 2050 jährlich auftreten. Weil sich die warme Meeresströmung im Atlantik, im Volksmund Golfstrom genannt, abschwächt, werden Stürme in Nordeuropa zunehmen. In der Sahelzone und in Südasien werden dadurch weniger Niederschläge fallen, und im Nordosten Nordamerikas wird der Meeresspiegel steigen.

Aber auch Hochgebirgsregionen verändern sich. Gletscher, Schnee und Eis nehmen hier stetig ab. Vor allem kleinere Gletscher in Europa, Ostafrika, den Anden und Indonesien könnten bei andauernd hohem CO2-Ausstoß mehr als 80 Prozent ihrer Größe verlieren. Das bedroht auch die Wasserversorgung der Bewohner von Hochgebirgsregionen und der Menschen, die stromabwärts leben. Infolge der abschmelzenden Gebirgsgletscher rechnen die Forscher darüber hinaus mit mehr Erdrutschen, Lawinen, Steinschlägen und Überschwemmungen.

Die Weltmeere puffern die Auswirkungen des Klimawandels ab. »Der Ozean und die Kryosphäre der Welt nehmen seit Jahrzehnten die Hitze des Klimawandels auf«, sagte IPCC-Vizepräsidentin Ko Barrett. »Die Folgen für Natur und Mensch sind weitreichend und schwerwiegend.« Millionen von Menschen seien gezwungen, ihre Lebensweise grundlegend zu verändern.

Bis heute haben die Meere zwischen 20 und 30 Prozent der vom Menschen verursachten CO2-Emissionen und mehr als 90 Prozent der überschüssigen Hitze im Klimasystem gebunden. Dadurch versauern die Ozeane aber. Diese Entwicklung werde sich weiter verschärfen, wenn die Menschheit nicht massiv gegensteure, so Barrett.

Auch das Leben in den Meeren ist durch die Erwärmung und Übersauerung massiv bedroht, heißt es im IPCC-Bericht. Viele Fischbestände seien bereits deutlich dezimiert. Besonders gefährdet seien aber Korallen und andere kalkbildende Arten wie Seepocken und Muscheln.

Die Klimaforscher fordern weitreichende und zügige Änderungen in der Lebensweise weltweit sowie einen schnellen und wirksamen Klimaschutz. Es sei besser, jetzt auf eine nachhaltige Entwicklung zu setzen, als eskalierende Kosten und Risiken infolge des Klimawandels in Kauf zu nehmen.

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