Pyjamaparty am Ku’damm

Auftakt der »Tu Mal Wat«-Aktionstage gegen Verdrängung.

  • Marie Frank
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Straße vor dem fünfstöckigen Haus am Kurfürstendamm wirkt in der nächtlichen Ruhe wie ausgestorben. Bis plötzlich ein Papagei auftaucht. Kurze Zeit später gesellen sich noch ein Biber und ein Affe dazu. Nach wenigen Minuten haben sich rund ein Dutzend maskierte Aktivist*innen mit Plüschkostümen vor dem Gebäude versammelt und machen es sich mit Decken auf ihren mitgebrachten Matratzen und Isomatten gemütlich. Während aus einer Lautsprecherbox leise Popmusik läuft, wird ein Twister-Spiel ausgepackt und Waffeln und Glühwein gereicht. Was auf den ersten Blick nach einer lustigen Mottoparty aussieht, hat in Wirklichkeit einen ernsten Hintergrund: Die Bewohner*innen des anarcha-queerfeministischen Hausprojekts Liebig34 im Friedrichshainer Nordkiez sollen aus ihrem Zuhause rausgeschmissen werden und haben auf der Suche nach neuem Wohnraum beschlossen, bei ihrem Eigentümer, dem berüchtigten Immobilienunternehmer Gijora Padovicz, einzuziehen.

Rund 50 Aktivist*innen mit Schlafanzügen und Bademänteln sind dafür Donnerstagnacht vor dem Wohn- und Bürohaus des Unternehmers zu einer Einzugs-Pyjamaparty zusammengekommen. Padovicz, der allein in Friedrichshain mehr als 200 Häuser besitzen soll, kaufe gezielt Hausprojekte auf, um sie dann zu entmieten, luxuszusanieren und für den größtmöglichen Gewinn in Eigentum umzuwandeln, kritisiert eine Bewohnerin im Tigerkostüm. Auch der Liebig34 droht dieses Schicksal: Seit der Pachtvertrag Ende 2018 ausgelaufen ist, steht das seit den 90er Jahren bestehende Hausprojekt vor dem Aus. Mitte November soll die Räumung vor Gericht verhandelt werden. »Es sieht ganz so aus, als wolle Padovicz uns mitten im Winter auf die Straße werfen«, so die Aktivistin. »Deswegen ziehen wir bei ihm ein. Denn wir lassen uns nicht einfach so vertreiben!«

Pips Geiger wohnt seit zwei Jahren in dem Hausprojekt. »Ich habe nicht nur Angst um meinen Wohnraum, mir geht es vor allem um das feministische und kollektive Zusammenleben«, sagt die 31-Jährige. Die Liebig34 sei als FLINT*-Projekt (FLINT* steht für Frauen*, Lesben, inter, non-binary und trans*) einzigartig in Berlin. »Als ich eingezogen bin, war mir das gar nicht so wichtig. Seit ich dort wohne merke ich jedoch, wie bedeutend das ist.« Das Haus mit seinen rund 30 Bewohner*innen sei nicht nur ein wichtiger Schutzraum, sondern auch ein Ort für gegenseitiges Empowerment. »Es ist unglaublich schön, über politische Themen zu diskutieren, ohne dabei mit Mackern konfrontiert zu sein«, sagt Geiger.

Den Aktivist*innen geht es jedoch nicht allein um ihr Projekt, sondern auch um einen bunten und diversen Kiez und eine lebenswerte Stadt. »Die Liebigstraße und die Rigaer Straße stehen für Vielfalt, Toleranz und Widerstand. Das geht durch die Verdrängungsprozesse immer mehr verloren«, sagt Geiger. Die Spekulation mit dem Wohn- und Lebensraum der Menschen wollen viele in der Stadt jedoch nicht mehr hinnehmen. Die Pyjamaparty ist daher das Warmup für die »Tu Mal Wat«-Aktionstage, bei denen von Donnerstag bis Sonntag auf die verschiedenen wohnungspolitischen Kämpfe in Berlin aufmerksam gemacht und Widerstand geleistet werden soll. Wenige Stunden zuvor hatten sich dafür in Kreuzberg bereits rund 150 Menschen zum »Cornern am Kotti« getroffen. Neben verschiedenen Demonstrationen am Freitag und Samstag sind für Sonnabend zudem mehrere Besetzungen angekündigt.

Soweit kommt es bei der Einzugssause am Ku’damm nicht. Nachdem die wenigen Polizist*innen vor Ort anfangs noch erfolglos versucht hatten, die Party ein paar Meter weiter weg zu verlegen, und ein Bußgeld wegen zu später Anmeldung verhängten, lassen sie die Demonstrant*innen zunächst gewähren. Als sie nach rund einer Stunde einen der Teilnehmer*innen wegen angeblichen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz festnehmen, nutzen die Aktivist*innen die Gelegenheit, um den Eingang zu Padovicz’ Wohnhaus, vor dem die Beamt*innen zuvor noch gestanden hatten, zu blockieren. Nach mehreren erfolglosen Räumungsversuchen gibt die Polizei schließlich auf und begnügt sich mit ein paar Rangeleien und Wortgefechten am Rande. Erst als eine Aktivistin über das Absperrgitter klettert, greifen die Einsatzkräfte ein und nehmen die junge Frau fest.

Nach rund zwei Stunden ist die Party vorbei. Die Bilanz des Abends: Zwei Festnahmen, eine ausgelassene Party und viel Vorfreude auf die kommenden Tage. »Die Häuser denen, die sie brauchen«, schallt es noch einmal durch den Ku’damm, der kurz darauf wieder in der nächtlichen Stille versinkt, als wäre nichts gewesen.

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