• Politik
  • Kevin Kühnert und Oleg Shevchenko

Glaubwürdigkeit zurückgewinnen

Juso-Chefs Kühnert und Shevchenko über die Chancen der SPD bei der Thüringen-Wahl

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 5 Min.

Herr Kühnert, welche ermutigenden Worte haben Sie für Ihre Genossen in Thüringen - bei Umfragen, die die SPD bei sieben Prozent sehen?

Kühnert: Ich sage ihnen, dass wir bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen gesehen haben, dass es im Osten keine festen oder vordefinierten Ergebnisse gibt. Die Lage für die Partei ist in jedem Bundesland anders, die Menschen treffen ihre Wahlentscheidung sehr länderspezifisch. Das macht Wahlkämpfe intensiver, bringt aber auch Chancen. Gerade Brandenburg hat gezeigt, dass man sich ein Stück weit vom Bundestrend abkoppeln kann.

Bei einem Juso-Treffen in Mühlhausen vor etwa einem Jahr haben Sie noch gesagt, es sei quasi sinnlos, in den Ländern Wahlkämpfe gegen den Bundestrend zu führen ...

Kühnert: Natürlich schlägt der Bundestrend durch. Auch die Brandenburger SPD hat ihre bisherigen Ergebnisse nicht wieder einfahren können. Aber sie konnte trotzdem herausstechen gegenüber dem, was derzeit realistisch erscheint. Ich stelle fest: Die Bindung an Parteien nimmt ab. Das ist für Volksparteien zwar eine schlechte Nachricht. Aber wenn man, wie die SPD gerade, in einer ausbaufähigen Position ist, ist das auch eine Chance: Nämlich Menschen wieder für sich zu gewinnen, die zuletzt eine andere Partei oder gar nicht gewählt haben.

Herr Shevchenko, wie ist die Stimmung in der Thüringer SPD, gerade unter jungen Leuten?

Shevchenko: Die Umfragewerte tun weh, keine Frage. Wir haben aber in den vergangenen fünf Jahren in der rot-rot-grünen Koalition auch viel umsetzen können. Und das ist wiederum eine Motivation, gerade für die Thüringer Jusos, viele Menschen zu überzeugen, ihr Kreuzchen bei der SPD zu machen, weil wir diese Projekte nur so verteidigen können. Die andere Motivation, die wir haben, sind die hohen Umfragewerte der AfD: Wenn der Faschismus wieder vor der Tür steht, dürfen wir im Kampf dagegen nicht nachlassen.

Warum steht die SPD im Osten so schlecht da, Herr Kühnert?

Kühnert: Wenn man sich die Detailergebnisse aus der Sachsen-Wahl anschaut, dann gibt es da Faktoren, die aufhorchen lassen: Vielerorts, wo die AfD besonders stark geworden ist, gibt es niedrige Löhne, und die öffentliche Infrastruktur - Busverbindungen, Jugendclubs und vieles mehr - ist jahrelang zurückgebaut worden. Politik hat funktioniert wie ein Unternehmen: Was sich nicht rechnet, das fliegt aus dem Sortiment. Das hat den Frust vieler Menschen massiv befeuert. Das Gemeinwohl ist in den Hintergrund getreten. Und das ist besonders für sozialdemokratische Politik sehr schwierig, weil der Schutz des Gemeinwohls eigentlich Herzstück unserer Idee ist.

Warum trifft der Frust die SPD besonders heftig?

Kühnert: Das ist eine Vertrauensfrage. Denn diese Politik ist ja auch von der SPD teilweise gemacht worden, und damit haben wir Erwartungen enttäuscht. Im Umkehrschluss heißt das aber auch: Auf uns richten sich wenigstens noch Erwartungen. Diese zu erfüllen ist Voraussetzung dafür, wieder Glaubwürdigkeit zu erlangen.

Haben Sie der Glaubwürdigkeit ihrer Partei nicht auch geschadet, indem Sie auf eine Kandidatur für den SPD-Vorsitz verzichtet haben, nachdem Sie so lange erklärt haben, wie der Kurs der Sozialdemokratie aussehen sollte?

Kühnert: Ich bin kein Leibeigener der SPD oder einer politischen Idee und erlaube mir daher als freier Mensch eine freie Entscheidung. Man darf nicht für ein Amt kandidieren, wenn man nicht davon überzeugt ist, das Richtige zu tun. Alles andere führt in den Wahnsinn, für einen selbst und für die Partei. Meine Argumente macht das übrigens keinen Deut schlechter. Außerdem: Die Positionen, die ich vertrete, werden doch vielfach von Kandidaten um den Parteivorsitz vertreten - beispielsweise von Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken. Niemand ist in der Politik unersetzbar und Ideen sind immer größer als Personen.

Was haben Sie gedacht, Herr Shevchenko, als Sie erfahren haben, dass Herr Kühnert sich nicht um den SPD-Spitzenposten bewerben will?

Shevchenko: Ehrlich gesagt war ich nicht überrascht. Ich habe das eigentlich erwartet. Denn ich habe mich schon während der Debatte über seine Kandidatur gefragt: Wäre das Beste, was der Juso-Bundesvorsitzende machen kann, sich um den Vorsitz der SPD zu bewerben? Meine Antwort war und ist: Nein.

In Thüringen steht die SPD vor dem gleichen Dilemma, vor dem sie in Sachsen stand: Der Spitzenkandidat ist in den Umfragen ziemlich beliebt, trotzdem rutscht die Partei in der Wählergunst immer tiefer. Was nun?

Shevchenko: Wir sind jetzt in der heißen Phase des Wahlkampfs. Da müssen wir zeigen, dass hinter einem erfolgreichen und beliebten Politiker wie Wolfgang Tiefensee, der die Thüringer SPD im Wahlkampf führt, auch ein gutes Team steht. Er war es ja auch nicht allein, der in den vergangenen Jahren all das umgesetzt hat, was die SPD für Thüringer erreichen konnte - für die Kindergärten, für die Hochschulen zum Beispiel. Außerdem müssen wir deutlich machen, dass wir eine Landtagswahl vor uns haben. Viel von der Kritik, die ich an der SPD höre, bezieht sich auf Dinge, die im Bund entschieden werden. Darüber wird aber Ende Oktober hier nicht abgestimmt.

Haben Sie den Eindruck, dass eine Mehrheit der Thüringer solchen Sachargumenten noch zugänglich ist?

Shevchenko: Auf jeden Fall. Mein Eindruck ist, dass die Menschen sehr genau wissen, welche Parteien ihnen Dinge versprechen, die nicht umsetzbar sind. Sicher gibt es den einen oder anderen, bei dem man mit Argumenten nicht durchdringt. Aber das ist keinesfalls bei der Mehrheit so.

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