Blockaden für mehr Klimaschutz

Verkehrsknotenpunkt in Berlin von »Extinction Rebellion« besetzt

  • Lesedauer: 6 Min.

Berlin. Die Aktivistengruppe »Extinction Rebellion« (zu Deutsch: Rebellion gegen das Aussterben, kurz »XR«) hat am frühen Montagmorgen in Berlin ihre Protestaktion für mehr Klimaschutz gestartet. Mehrere Hundert Anhänger liefen vom Regierungsviertel zur Siegessäule im Ortsteil Tiergarten und besetzten kurz vor Beginn des Berufsverkehrs den Großen Stern - einen Verkehrsknotenpunkt in der Hauptstadt. Wenige Stunden nach dem Start waren laut Polizei schon rund 1000 Aktivisten auf der Straße. Zuvor hatte die Gruppe über soziale Medien dazu aufgerufen, sich schnell auf den Weg zu machen. Die Polizei appellierte an Autofahrer: »Bitte seien Sie vorsichtig und umfahren Sie den Bereich.«

Berlins Innensenator Andreas Geisel kündigte ein Vorgehen »mit Augenmaß« gegen die Umweltschützer an. Man werde sich die Versammlungen anschauen und einige auch eine Weile gewähren lassen, sagte der SPD-Politiker dem Inforadio des RBB. »Es ist ja so, dass wir Blockaden, Veranstaltungen durchaus als spontane Demonstrationen werten können, die ja nach Demonstrationsrecht zulässig sind«, sagte Geisel weiter. Man sei aber auch bereit, energischer vorzugehen, wenn etwa Gewalt angewendet werde oder kritische Infrastrukturen wie der Flughafen betroffen seien.

Kritisch äußerte sich Kanzleramtschef Helge Braun (CDU). Es sei in Ordnung für mehr Klimaschutz zu demonstrieren. »Aber wenn man gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr ankündigt, das geht natürlich gar nicht.«

Weltweite Aktionen in zahlreichen Städten

Mit Blockaden und anderen Protestaktionen will die Umweltschutzbewegung von Montag an nicht nur in Berlin, sondern auch in anderen Großstädten in aller Welt auf die drohende Klimakatastrophe aufmerksam machen. Aktionen soll es unter anderem in London, Paris, Madrid, Amsterdam, New York, Buenos Aires sowie in den australischen Städten Sydney, Melbourne und Perth geben. Die Aktionen sollen mindestens eine Woche lang andauern. Wie genau sie dabei vorgeht, soll erst wenige Minuten vor Beginn der größtenteils unangemeldeten Aktionen bekannt gegeben werden.

»Extinction Rebellion« kommt ursprünglich aus Großbritannien. Nach eigenen Angaben gibt es die Gruppe seit November vorigen Jahres auch in Deutschland. Sie fordert unter anderem, dass die nationalen Regierungen sofort den Klimanotstand ausrufen. Alle politischen Entscheidungen, die der Bewältigung der Klimakrise entgegenstünden, müssten revidiert werden. Schon bis 2025 müssten die vom Menschen verursachten Treibhausgas-Emissionen auf netto null gesenkt werden, verlangt die Gruppe. Zu den Blockaden erklärt die Gruppe: »Wir stören den alltäglichen Betriebsablauf, der unsere Lebensgrundlagen zerstört. Wir setzen den Protest so lange fort, bis die Regierungen angemessen reagieren.«

Eva Escosa-Jung von »Extinction Rebellion« sagte zu der ersten Aktion in Berlin: »Heute beginnt die weltweite Rebellion gegen das Aussterben. Wir stören, weil wir keinen anderen Weg sehen, um den umfassenden und tiefgreifenden Wandel herbeizuführen, der das Klima rettet.« Die Klimapolitik der Regierung habe versagt. »Wälder brennen, die Meeresspiegel steigen, die Ozeane übersäuern und weltweit sterben Wildtiere massenhaft aus - der Menschheit droht eine lebensbedrohende Katastrophe.« »Extinction Rebellion« wende keine Gewalt, sondern Kreativität an. Am Mittag (12:05 Uhr) werde die als Seenotretterin von Flüchtlingen bekannt gewordene Carola Rackete an der Siegessäule eine Rede halten.

Marsch gegen das Artensterben in Berlin

In Berlin wollen die Aktivisten am Montag zudem mit einem Marsch gegen das Artensterben aufmerksam machen. Am Mittag soll es dann auch am Potsdamer Platz eine zentrale Veranstaltung geben, von der aus weitere Aktionen ausgehen sollten. Zur gleichen Zeit soll an einem zunächst nicht bekannt gegebenen Ort im Regierungsviertel eine pinke Arche aufgestellt werden, die an das Artensterben erinnern soll. U- und S-Bahnverkehr sollten verschont bleiben. Ob sich »Extinction Rebellion« auf die Straße konzentriert oder auch die Berliner Flughäfen ins Visier nimmt, wollten die Organisatoren nicht verraten.

Anders als andere Bewegungen wie Greta Thunbergs »Fridays for Future«, sind die Aktivisten von »Extinction Rebellion« nach eigenen Angaben bereit, Gesetze zu brechen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Legale Demonstrationen und parlamentarische Prozesse hätten in den vergangenen 30 Jahren nicht zu den nötigen Veränderungen im Klimaschutz geführt, sagten die Veranstalter am Freitag. Dabei betonten sie allerdings stets, dass sämtliche Aktionen friedlich ablaufen sollten. Dafür sollten unter anderem Mediatoren sorgen, die Konflikte zwischen den Aktivisten und anderen - etwa Polizisten oder aufgehaltenen Autofahrern - während der Aktionen vermeiden sollten.

Die Regierungspartei SPD reagierte aufgeschlossen auf die Ankündigungen. »Ich verstehe die Ungeduld von vielen«, sagte die Interims-Parteivorsitzende Malu Dreyer der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. »Ich begrüße frühzeitige Aktionen jeglicher Art, die die Dringlichkeit der Aufgabe deutlich machen.« Zugleich mahnte sie: »Natürlich gilt für alle, dass es gewaltfrei bleiben muss.«

Kritik an »Extinction Rebellion« von FDP und Grünen

In der Vergangenheit stand »Extinction Rebellion« immer wieder in der Kritik, insbesondere von Seiten der radikalen Linken Deutschlands. Zuletzt hatte die Besetzung der LINKEN-Zentrale in Berlin, sowie das Verständnis der Aktivisten von Gewaltfreiheit und Staatsmacht für Unverständnis gesorgt. Daneben wurde »Extinction Rebellion« auch dafür kritisiert, den Zusammenhang von Klimakrise und Kapitalismus nicht zu verstehen. Die Aussage eines Sprechers, »ein bisschen Rassismus und Sexismus« werde geduldet, sorgte für einen Aufschrei.

Lesen Sie hier: »Wir sind uns einig, dass es Grenzen geben muss«. Mitglieder von »Extinction Rebellion« sprechen sich gegen Rassismus und Sexismus in ihrer Klimabewegung aus.

Die FDP hingegen warnte vor antidemokratischen Zügen der Bewegung. »Über die extremen Forderungen zum Klimaschutz hinaus stellen Aktivisten der Gruppierung offen die Demokratie in Frage«, sagte Parteichef Christian Lindner der Deutschen Presse-Agentur. »Klimaaktivisten und Grüne sollten sich von den antidemokratischen und teils totalitären Äußerungen aus dieser Gruppierung distanzieren.« Klimaschutz sei keine Entschuldigung für Gewalt, die bei Blockaden ihren Ausgangspunkt nehme, sagte der Liberale.

Auch der Grünen-Politiker Boris Palmer kritisierte» Extinction Rebellion«. »Es gibt gute Gründe, endlich entschiedenes Handeln für den Klimaschutz zu fordern. Wer aber Demokratie und Rechtsstaat dafür über Bord wirft, wird ziemlich sicher auch den Kampf gegen den Klimawandel verlieren. Protest ja, Rebellion nein«, sagte der Tübinger Oberbürgermeister.

Das Verhalten während der Aktionen war auch Thema in einem sogenannten Klimacamp, das die Aktivisten bereits am Samstag im Berliner Regierungsviertel aufgeschlagen hatten. In Workshops und Diskussionsveranstaltungen bereitete »Extinction Rebellion« die Teilnehmer auf Demonstrationen und andere Protestformen vor. Bis zu 3000 Menschen kamen am Sonntag in das Camp zwischen Reichstag und Kanzleramt. Für die Proteste ab Montag in Berlin erwarteten die Veranstalter »Tausende Menschen« aus Deutschland, Polen, Dänemark und Schweden. dpa/nd

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