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Papier, das in Papier versteckt ist

In seinem neuen Buch »Agentterrorist« erzählt der Journalist Deniz Yücel von seiner Zeit als Geisel der türkischen Regierung

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 6 Min.

Wie man weiß, gibt sich der nicht nur für seine legendäre Humorlosigkeit berüchtigte türkische Autokrat Recep Tayyip Erdoğan, der wie viele seines Schlages in der Vergangenheit ein überaus eigenwilliges Demokratieverständnis offenbarte, bis heute vergleichsweise unbeeindruckt von dem, was wir anderen die Realität zu nennen pflegen. Vielmehr macht er sich, wie ehedem Pippi Langstrumpf, die Welt, wie sie ihm gefällt: Huldigungen entgegennehmen, Demonstranten zusammenschlagen lassen, lukrative Pöstchen an Familienmitglieder verteilen, unliebsame Staatsbürger hinter Gittern verschwinden lassen. Das ist nun mal sein Ding, dabei entspannt er sich. So wie andere beim Golfen.

Im Fall des »Welt«-Journalisten Deniz Yücel, den Erdoğan ohne Gerichtsverhandlung und ohne dass konkrete Tatvorwürfe vorgelegen hätten, ein Jahr lang im Gefängnis festhalten ließ, erfand er sogar kurzerhand einen bis dahin nicht existierenden Straftatbestand: Er nannte ihn einen »Agentterroristen«, weil Yücel über Dinge recherchierte, über die er nicht recherchieren sollte, Fragen stellte, die er besser nicht gestellt hätte, und - man denke sich nur! - sogar Erdoğans politische Gegner und Kritiker interviewte, mit denen zu sprechen ihm Erdoğan nicht persönlich erlaubt hatte. Zwar wusste kein Mensch, was das genau sein soll, ein »Agentterrorist«, und es lagen auch keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich bei Yücel um einen solchen handelte, aber es klang gut. Und das war die halbe Miete. In dem Wort schwang der passende Sound mit: Niedertracht, Verrat, Bösartigkeit, Gewalt. Yücel glitt also auf Geheiß Erdoğans und ohne rechtsstaatlichen Schnickschnack von der »Untersuchungshaft«, während der tatsächlich nichts untersucht wurde, in die Isolationshaft im Hochsicherheitsgefängnis, wo er als eine Art persönliche Geisel des türkischen Staatspräsidenten aufbewahrt wurde.

Bis schließlich, angestoßen von Freunden und Kollegen Yücels, eine beispiellose Solidaritätsbewegung entstand, die am Ende maßgeblich mit dafür sorgte, dass Druck auf die Bundesregierung ausgeübt wurde und der Fall Yücel nicht aus den Medien verschwand.

Über das Jahr, das der Journalist in türkischer Haft verbringen musste, und über die diplomatische Krise, die er unfreiwillig auslöste, hat Yücel nun ein Buch vorgelegt, ein Buch über seinen »Kampf«, den er im Gefängnis führte. Und das trägt logischerweise den Titel »Agentterrorist«. Mit Yücel und Erdoğan haben sich zwei gefunden, die, um es vorsichtig zu formulieren, nicht gerne nachgeben, nur dass eben der eine ein hartnäckig für die Einhaltung demokratischer Rechte streitender politischer Gefangener ist und der andere ein autoritär und mit einer schweren Überdosis Willkür regierender Politiker. Und dass der eine, wie der gewählte Buchtitel zeigt, Humor hat und der andere nicht.

Im Gefängnis, so der Journalist am Montagabend bei der Buchpremiere in Berlin, habe er zeitweise - wenn er sich etwa in Gesprächen aufbrausend, dickköpfig oder verhärtet verhielt - das Gefühl gehabt, er werde Erdoğan immer ähnlicher.

Die fast ausverkaufte Buchpremiere im Festsaal Kreuzberg, dem Veranstaltungssaal, der Yücel der liebste von allen ist und in dem er erst vor wenigen Monaten mit Freundinnen und Freunden seine Hochzeit nachfeierte, kommt nicht als klassische Autorenlesung daher, sondern als Frage-und-Antwort-Spiel zwischen Yücel und seiner langjährigen besten Freundin und Weggefährtin Doris Akrap, die Redakteurin der »Taz« ist und Mitinitiatorin der Solidaritätsbewegung FreeDeniz war. Wobei - und auch das hat Tradition - die Antworten Yücels, der sich im Lauf des über zweistündigen Abends von einer Anekdote und Geschichte zur nächsten plaudert, nicht gerade kurz ausfallen.

Auf dem Lesetischchen legt Akrap ein Bund Petersilie und ein Bund Minze ab, »zwei Pflanzen, die während deiner Haftzeit wichtig waren«.

Unter anderem berichtet Yücel von Einschüchterungsversuchen und Demütigungen der Gefängniswärter, die den »Vaterlandsverräter« zwangen, »den Kopf vor ihnen zu beugen«; von den riesigen Mengen Post, die im Knast für ihn eintraf und die er niemals erhalten hat; oder von der Kraft, die ihm, weitgehend an der Kommunikation mit der Außenwelt gehindert, die zahlreichen Solidaritätsaktionen aus Deutschland gaben.

Sichtlich amüsiert erzählt er auch davon, wie es ihm gelang, Geschriebenes aus seiner Zelle zu schmuggeln: »Papier musst du in noch mehr Papier verstecken.« Schelmisch berichtet der Journalist, wie er dahintergekommen sei, dass Post von ihm an juristische Institutionen und Amtspost bevorzugt behandelt wurde. In umfangreichen Papierkonvoluten, getarnt als Eingaben an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, versteckte Yücel fortan private Mitteilungen und Korrespondenz: »Ich habe stets juristische Fachbegriffe und Abkürzungen - im Deutschen etwa vergleichbar mit ›StGB‹, ›BGB‹ oder ›StVO‹ - großzügig über die ersten Seiten der Schreiben verteilt, damit diese wie juristische Korrespondenz wirkten.« Erst auf den hinteren Seiten brachte Yücel dann, zwischen »Quatschpassagen« eingefügt, jenen Text unter, den er nach draußen schmuggeln wollte.

»Einige der Gefängnisbeamten, die besonders diensteifrig sein wollten, untersuchten penibel die leeren Rückseiten der beschriebenen Blätter, in der Annahme, ich hätte dort private Botschaften hingekritzelt, ohne zu begreifen, dass meine versteckten Mitteilungen sich unmittelbar vor ihnen auf den beschriebenen Seiten befanden.«

Besonders entmutigend, teilt Yücel mit, sei für ihn während der Zeit in Haft das Verhalten von Großkonzernen wie Siemens oder Volkswagen gewesen, die mit Erdoğans Schergen und türkischen Unternehmen gute Geschäfte machen. Diese Konzerne, so der »Welt«-Reporter, hätten tatsächlich die Macht gehabt, Einfluss auf die Situation zu nehmen, davon aber in keiner Weise Gebrauch gemacht. Darüber, dass Menschenrechte für die genannten Konzerne offenbar nichts zählen, sei er »zutiefst enttäuscht«.

Yücels Buch ist mehr als der präzise Bericht über das Leben eines Unschuldigen in Gefängnishaft, es ist auch das Protokoll eines im besten Sinne Starrköpfigen, der nie vergessen hat, dass Renitenz, richtig verstanden, eine große Tugend sein kann.

Stilistisch wird es hie und da pathetisch oder man stößt auf Textbausteine, die man aus dem Trivialroman kennt. Da ist dann schon mal, in bester Boulevardzeitungstradition, von den »stahlblauen Augen« eines Gefängniswärters die Rede oder von den »eleganten, langen Fingern« der Geliebten. Doch das sei Yücel, der sonst mit äußerster Gewissenhaftigkeit und Akribie an seine Arbeit geht, augenblicklich verziehen. Und derlei hat ja auch erfahrungsgemäß hierzulande noch nie ein Buch daran gehindert, ein Bestseller zu werden.

Deniz Yücel: Agentterrorist. Eine Geschichte über Freiheit und Freundschaft, Demokratie und Nichtsodemokratie. Kiepenheuer & Witsch, 400 S., geb., 22 €.

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