nd-aktuell.de / 10.10.2019 / Politik / Seite 7

Kämpferisch und moderat zugleich

IG-Metall-Chef Jörg Hofmann hält Grundsatzrede nach überraschender Wahlschlappe

Hans-Gerd Öfinger, Nürnberg

Frühmorgens am Tag drei des IG-Metall-Gewerkschaftstages in Nürnberg meldete sich der wiedergewählte Gewerkschaftsvorsitzende Jörg Hofmann außerplanmäßig zu Wort. Er hatte am Vortag zur allgemeinen Überraschung mit schlappen 71 Prozent das schlechteste Wahlergebnis bei der Vorstandswahl eingefahren, 20 Prozent weniger als vor vier Jahren. »Das ist ein Denkzettel für mich«, bekannte Hofmann am Mittwoch und bedauerte, dass etwaige Differenzen und Unmut nicht im Vorfeld und »mit offenem Visier« ausgefochten worden seien. Umso mehr gehe es jetzt um »klare Kante gegen alle, die die Messer wetzen und die IG Metall spalten wollen«, gab er sich entschlossen und erntete dafür Ovationen.

Bei der Rechenschaftsdebatte am Montag hatte noch nichts auf den Denkzettel hingedeutet. Sie lief viel kürzer und harmonischer ab als früher. Fundamentale Kritik äußerte lediglich der Berliner Senior Günter Triebe, der ein scharfes antikapitalistisches Profil und einen härteren Konfliktkurs gegenüber dem Kapital verlangte: »Es widert mich an, wie zaghaft wir uns zu gesellschaftlichen Themen positionieren - aus Angst, wir könnten einige unserer Mitglieder verprellen. Das ist beim Thema Klima so, das ist bei der Rüstungsproduktion so, und das ist vor allem rund um das Auto so.« Wenn sich die IG Metall für einen »fairen« Wandel ausspreche, sei dies sehr defensiv. »Vom Kapital zu erwarten, dass es uns fair behandelt, ist ungefähr so, als würden die Schafe die Wölfe bitten, sie fair zu behandeln«, so Triebe. »Wir haben gemeinsam gegen die Rente mit 67 gekämpft. Du wirst im Dezember 64 und wirst beim nächsten Gewerkschaftstag fast 68 Jahre alt sein. Unsere Glaubwürdigkeit stärkt das nicht«, so der Berliner in Richtung Hofmann.

In seiner Grundsatzrede hatte sich der IG Metall-Chef kämpferisch und moderat zugleich gegeben. So verlangte er ein Ende der »schwarzen Null«, eine »Rückabwicklung« der Agenda 2010, die Abschaffung sachgrundloser Befristungen und »Qualifikation statt Sanktion« im Umgang mit Erwerbslosen. Rüstungsexporte in Krisenländer lehnte er ebenso ab wie höhere Rüstungsausgaben oder Kampfeinsätze ohne UNO-Mandat. Scharf kritisierte Hofmann direkte Eingriffe aktivistischer Kapitalinvestoren in Unternehmensentscheidungen. »Wir wollen nicht die Verstaatlichung von BMW fordern«, so sein Seitenhieb auf eine Forderung von Juso-Chef Kevin Kühnert und sein Signal an das Unternehmerlager, dass mit ihm die in Artikel 2 der Gewerkschaftssatzung als Ziel festgehaltene Vergesellschaftung von Schlüsselindustrien nicht zur Tagesforderung werden soll. Statt der Eigentumsfrage gehe es um »wirkliche Mitbestimmung« und »eine Balance von Kapital und Arbeit«. Dazu müsse das doppelte Stimmrecht für den Aufsichtsratsvorsitzenden und damit für das Kapital abgeschafft werden. So sei statt Entlassungen und Betriebsschließungen eine »nachhaltige Entwicklung« der Unternehmen möglich. Als Vorbild bezeichnete Hofmann die in den 1950er Jahren unter dem Druck von Sozialisierungsforderungen eingeführte Montanmitbestimmung für die Kohle- und Stahlbranche, die derzeit nur noch in 20 Unternehmen gilt.

Das beste Einzelergebnis erzielte mit knapp 98 Prozent der im Vorstand für Sozialpolitik zuständige Hans-Jürgen Urban, den manche als »Liebling der Organisation« und »linkes Gewissen« der IG Metall bezeichnen. Ob er künftig Nummer eins der IG Metall werden könnte, oder ob mit der Zweiten Vorsitzenden Christiane Benner erstmals eine Frau an die Spitze der traditionellen Männergewerkschaft aufrückt, steht in den Sternen. Benner ist im Vorstand für die wachsenden Bereiche Jugend, Frauen, Angestellte und Migranten zuständig. Der Kapitalismuskritiker Urban hatte dieser Tage Eingriffe in das kapitalistische Privateigentum zum Schutze der Demokratie befürwortet und die Berliner Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen« begrüßt.

Auf Vorstand und Mitgliedschaft der IG Metall warten viele Baustellen, die auch in Nürnberg zur Sprache kamen. So rüsten sich ostdeutsche Metaller für den Kampf um die 35-Stunden-Woche. In der Stahlbranche und bei manchen Autozulieferern herrschen Existenzängste. Auch die Auseinandersetzung mit Rassismus und der AfD zog sich durch Redebeiträge und Anträge. Der Kongress verabschiedete ein Manifest, mit dem sich die Gewerkschaft zu einer »sozialen, ökologischen und demokratischen Transformation« bekennt. Der Kampf für eine »wirklich demokratische und gerechte Wirtschaftsordnung« bleibe die »unvollendete historische Mission der Arbeiterbewegung im 21. Jahrhundert«, so das Manifest.