Die Diktatur hat an die Tür geklopft

Marco Paladines über den Umgang der Regierung Lenín Morenos mit den tagelangen Proteste in Ecuador

  • Marco Paladines
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer in diesen Tagen, das Wort »Ecuador« in die Suchmaschine eintippt, wird keine idyllischen Landschaftsbilder von Urlaubszielen finden. Im Gegenteil, zahlreiche Videos und Bilder die durch das Netz kursieren, zeigen die Straßen von Quito in fast apokalyptischer Atmosphäre: tagelange Straßenschlachten zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten, Detonationen, Rauchwolken und Feuer überall. Seit Jahren ist Ecuador Schauplatz für intensive politische Auseinandersetzungen; vor Lenín Morenos Amtszeit sind drei der vier letzten gewählten Präsidenten von landesweiten, meist indigenen Mobilisierungen und Protesten gestürzt worden.

Doch die Intensität der Gewalt und der Repression hat in den letzten Tagen ein Maß erreicht, das für Ecuador neu ist. Nach der Ausrufung eines Ausnahmezustands, der Schließung von unabhängigen, kritischen Medien, der Verhaftung von politischen Gegnern und der Verhängung einer Ausgangssperre in unterschiedlichen Zonen der Hauptstadt hat Präsident Moreno nicht nur seine Legitimität als Regierungschef verloren, sondern die Demokratie Ecuadors in Gefahr gebracht.

Wie ist es zu dieser Situation gekommen?

Moreno wurde als Nachfolger des Sozialisten Rafael Correa 2017 zum Präsidenten gewählt. Sein Versprechen war, die souveräne Wirtschaftspolitik der letzten Regierung fortzuführen, die weitgehend unabhängig vom Internationalen Währungsfonds (IWF) war. Doch kaum im Amt, distanzierte sich Moreno von dieser Linie und biederte sich bei der neoliberalen Opposition an. Mit ihrer Unterstützung trieb er eine Politik voran, die auf immer mehr Resonanz beim Pentagon und der Regierung Trump traf: Im Februar diesen Jahres unterschrieben die ecuadorianischen Behörden und der IWF eine Absichtserklärung. Im April hat die ecuadorianische Regierung der britischen Polizei erlaubt, durch eine rechtswidrige Entziehung des politischen Asyls, Julian Assange festzunehmen. Im Mai hat der Verteidigungsminister Oswaldo Jarrín angekündigt, dass die Galápagosinseln zu einem »natürlichen Flugzeugträger« für US-Militärkräfte werden.

Moreno selbst brachte das Fass zum Überlaufen, als er am 2. Oktober neue wirtschaftliche Maßnahmen kundgab. Unter anderem wurden die Löhne der Arbeiter des öffentlichen Sektors um 20 Prozent gekürzt, die Zahl der Urlaubstage halbiert, die staatlichen Subventionen für Treibstoffe gestrichen und die Steuer auf Devisengeschäfte gesenkt. Diese Ankündigung löste landesweite Proteste aus.

Die Regierung spielte ein doppeltes Spiel

Marco Paladines ist ein ecuadorianischer Soziologe. Er promoviert an der TU Berlin über die zeitgenössische indigene Architektur in Bolivien.
Marco Paladines ist ein ecuadorianischer Soziologe. Er promoviert an der TU Berlin über die zeitgenössische indigene Architektur in Bolivien.

Während die Regierung offiziell verlautbarte, zu einem Dialog bereit zu sein, wurden die Proteste mit ständig wachsender Kraft von Polizei und Militär niedergeschlagen. Trotzdem marschierten Zehntausende Indigene in Quito ein. Das Ergebnis der Eskalation sind mindestens sieben bestätigte Todesopfer, über sechshundert Verletzte und fast eintausend Inhaftierte. Über die wirtschaftlichen Kosten sowie den Schaden an und in Gebäuden gibt es bisher keine Berechnungen. Die Errichtung einer Diktatur? Knapp davor.

Da Moreno keine Perspektive auf eine politische Zukunft hat, ist er bereit, sein politisches Kapital zu liquidieren, indem er durch die brutale Repression die Bürgerrechte außer Kraft setzt und sich als Feind der ecuadorianischen Bevölkerung positioniert. Letztlich legt Moreno nicht den Wählern gegenüber Rechenschaft ab, die er schon längst betrogen hat, sondern allein der oligarchischen und finanziellen Elite Ecuadors und dem IWF gegenüber. Ermordung durch Scharfschützen wird nicht als legitime Verteidigungsgewalt vertuscht werden können: Es ist ein Angriff auf die Menschenrechte. Und dafür muss er verantwortlich gemacht werden.

Und nun?

Die unter Druck gesetzte Regierung initiierte einen Dialog mit Repräsentanten des Dachverbandes der Indigenen Völker Ecuadors (CONAIE), der durch die Vereinten Nationen und die Bischofskonferenz vermittelt wird. Die Demonstranten fordern den Rücktritt der Innenministerin María Paula Romo und des Verteidigungsminister Jarrín, die verantwortlich für die Esklation und die Todesopfer gemacht werden. Erster Erfolg des Dialogs: Die Verordnung der Wirtschaftsmaßnahmen wurde ausgesetzt. Die Ausgangssperre bleibt jedoch in Kraft.

Das Vertrauen in die Regierung Moreno ist aber längst verloren. Die Ecuadorianer, die seit Tagen nichts mehr von Ruhe wissen, begleiten den Dialog aufmerksam, erwartungsvoll aber misstrauisch. Von einer Regierung, die ihre eigene Legitimität verspielt hat, darf man wenig erwarten. Ein großer Teil der Bevölkerung, die in den vergangenen Jahrzehnten schon öfter gegen IWF-Diktate gekämpft hat, bereitet sich vor, wenn es sein muss, die Demokratie gegen ihre eigene Regierung zu verteidigen.

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