Eine Frage der Kompensation

Bei der Ausgestaltung des Kohlekompromisses geht es um die Verteilung der Strukturhilfen

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Januar einigte sich die von der Bundesregierung eingesetzte Kohlekommission nach zähen Verhandlungen auf einen Kompromiss. Die beiden wichtigsten Bestandteile sind der stufenweise Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2038 und Strukturbeihilfen für die betroffenen Regionen von bis zu 40 Milliarden Euro. Dazu sollen weitere Milliarden als Kompensationen an die Industrie und für Übergangsgelder der Braunkohlekumpel gezahlt werden.

Doch bei der Umsetzung hakt es. Um die Entwürfe für das Strukturstärkungs- und das Kohleausstiegsgesetz wird in- und außerhalb der Regierungskoalition erbittert gerungen. Auf einer Fachkonferenz des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) diskutierten am Dienstagabend in Berlin Fachpolitiker von SPD und Grünen, Betriebsräte betroffener Unternehmen, Vertreter von Industrie- und Naturschutzverbänden mit Gewerkschaftsfunktionären über den geplanten Strukturwandel.

Dabei sind der Kohleausstieg und die damit verbundene Klimadebatte ein Thema, über das selbst innerhalb des Arbeitnehmerlagers lebhaft gestritten wird. Uwe Teubner, Gesamtbetriebsratsvorsitzer beim Lausitzer Braunkohle- und Energiekonzern LEAG forderte schnelle, messbare Ergebnisse für seine Kumpel. Vielen Kollegen stecke noch der Strukturwandel nach der Wende und der damit verbundene Verlust von Zehntausenden Arbeitsplätzen in den Knochen. Viele Angestellte in den Tagebauen und den Kraftwerken seien verunsichert und verbittert, weil sie sich von Klimaaktivisten und Teilen der Politik »in die böse Ecke gedrängt fühlen«. Das machten sich Rechtspopulisten zunutze. In der Lausitz erzielte die AfD bei den vergangenen Landtagswahlen Ergebnisse von 30 Prozent und mehr. Da sei es wenig hilfreich, wenn sich eine große Gewerkschaft wie ver.di demonstrativ an die Seite von »Fridays for Future« stelle, so Teubner.

Christoph Schmitz vom ver.di-Bundesvorstand und andere Gewerkschaftsvertreter sahen darin aber keinen Widerspruch und betonten ihre Unterstützung des Kohlekompromisses unter der Prämisse eines sozialverträglichen Strukturwandels. Dennoch hätten Bewegungen wie »Fridays for Future« wichtige Impulse für die Klimadebatte geliefert, die man nicht ignorieren könne.

Folglich wollte keiner der Diskussionsteilnehmer den Kohlekompromiss infrage stellen. Doch bei der Ausgestaltung gibt es eben Differenzen. So ist für DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell der bislang vorliegende Entwurf für ein Strukturstärkungsgesetz nur ein erster Schritt, der »in den kommenden Beratungen dringend weiterentwickelt werden muss«. Vor allem fehle eine konkrete Zusage, wie die geplanten 40 Milliarden Euro in den kommenden 20 Jahren sicher zur Verfügung gestellt werden können. Er fordert deshalb eine stärkere Einbeziehung der Industrie und der Gewerkschaften bei der Strukturentwicklung. Denn »nur so werden neue, gute Arbeitsplätze und tragfähige Perspektiven entstehen«. Mit den geplanten Strukturhilfen dürften »keine Billigjobs oder kurzfristige Strohfeuer gefördert werden«.

Unterstützung erhielt Körzell von Matthias Miersch, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag. Er warnte davor, dass pauschale Kompensationszahlungen von der Industrie für Investitionen in anderen Regionen oder gar Kapitalflucht ins Ausland missbraucht werden könnten. Das müsse präzisiert werden. Das gelte auch für das Anpassungsgeld, dass ältere Kollegen in den Kohlerevieren erhalten sollen.

Bei der Wirtschaftslobby kommen solche Warnungen nicht gut an. Der Kohleausstieg sei »ein harter Eingriff in die Eigentumsrechte« und das sei »nur bei angemessenen Entschädigungen für die Unternehmen selbst« vertretbar, erklärte Holger Lösch vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Für ihn ist vor allem die Kompensation möglicher Strompreiserhöhungen für die Industrie eine zentrale Frage, die in dem Gesetz eindeutig geregelt werden müsse.

Kai Niebert vom Deutschen Naturschutzring drängte in Hinblick auf die Klimaschutzdebatte auf die schnelle Abschaltung der ersten Kohlekraftwerke. Aber »Abschaltung funktioniert nur, wenn wir auch anschalten, und da hakt es gewaltig«, so Niebert unter Hinweis auf der Blockadehaltung vor allem der CSU beim Ausbau der Windkraft. Es dürfe keine Hintertür geben, um den Kohleausstieg aufgrund selbst verschuldeter Kapazitätsengpässe zu verzögern.

Die Debatte um den Kohlekompromiss wird weitergehen. Die parlamentarische Beratung der Gesetzentwürfe dürfte aber nicht vor Februar 2020 beginnen.

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