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Nach dem Deal ist vor der Abstimmung

In Brüssel mehren sich die Stimmen, die das ausgehandelte Austrittsabkommen zwischen EU und Großbritannien in Frage stellen

  • Katja Herzberg
  • Lesedauer: 4 Min.

Berlin. Ein EU-Austritt Großbritanniens ohne Abkommen (»No-Deal-Brexit«) ist auch nach der Einigung vom Donnerstag noch nicht vom Tisch. Die 27 verbleibenden EU-Staaten hatten beim Treffen der Staats- und Regierungschefs das neue, in entscheidenden Punkten geänderte Brexit-Abkommen gebilligt. Es muss allerdings noch vom britischen Unterhaus akzeptiert werden. Die Abstimmung dort ist für Sonnabend geplant. Und je weniger Zeit bis dahin verbleibt, desto stärker wird der Druck auf die Parlamentarier erhöht.

Dies kritisiert Martin Schirdewan, der Co-Vorsitzende der Linksfraktion im EU-Parlament. Der scheidende EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker könne sich wünschen, dass der Deal durch das Unterhaus kommt und keine weiteren Verhandlungen nötig sind. »Er hat aber kein Recht, sich über britische Gesetze hinwegzusetzen und in die demokratischen Prozesse Großbritanniens einzumischen«, so Schirdewan gegenüber »nd«. Der LINKEN-Politiker, der auch der Lenkungsgruppe für den Brexit im Europäischen Parlament angehört, verweist darauf, dass erst der aktuelle britische Premier, Boris Johnson, mit seinem Vorgehen der letzten Monate der Demokratie in seinem Land großen Schaden zugefügt habe. Es sei nun nicht angemessen, wenn die Konservativen in der EU Druck auf britische Abgeordnete machen.

Juncker hatte am Rande des EU-Gipfels vor den Folgen einer Ablehnung des Brexit-Abkommens im britischen Parlament gewarnt. Wenn es in Westminister keine Zustimmung gebe, »dann sind wir in einer extrem komplizierten Situation«, so der Kommissionschef. Eine erneute Verschiebung des für den 31. Oktober vorgesehenen Brexit-Datums hielt er nicht für nötig: »Wir sind der Meinung, dass man angesichts der Qualität des Deals keine Verlängerung braucht.«

Parlament muss dem Deal zustimmen

Der britische Premier Johnson will am Samstag das britische Parlament über die Vereinbarung abstimmen lassen. Das Unterhaus hatte unter der früheren Premierministerin Theresa May schon drei Mal gegen Brexit-Vereinbarungen mit der EU gestimmt. Das nun vorliegende Abkommen ist ebenso hoch umstritten. Die oppositionelle Labour-Partei will nicht zustimmen und auch Johnsons parlamentarischer Partner, die nordirische Protestantenpartei DUP, machte seine Ablehnung deutlich. Die Konservativen haben keine eigene Mehrheit im Parlament.

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Durch den »Benn Act« wäre Johnson im Falle der Ablehnung des Abkommens dazu gezwungen, die EU um eine Verschiebung des EU-Austritts über den 31. Oktober hinaus zu bitten. Das hatte der Tory-Politiker bislang vehement abgelehnt.

Dass der Termin 31. Oktober kaum zu halten ist, bezweifeln EU-Politiker auch aus anderem Grund. Die Vizepräsidentin des Europa-Parlaments, Katarina Barley, sagte im Inforadio, es seien noch viele technische Fragen insbesondere in Bezug auf die Umsetzung der Binnenmarkt- und Zollregeln zu klären. Darauf verweist auch Martin Schirdewan im nd-Gespräch. »Man weiß nicht genau, wie das praktisch funktionieren soll. Und wie es ab dem 1. November funktionieren soll.« Er habe große Bauchschmerzen, wenn es darum geht, welche Standards beim Waren- und Güterverkehr zur Anwendung kommen und ob es nicht doch mittelfristig zum Dumping kommen wird. »Man hat sich Zeit gekauft, um zukünftige Regeln zu verhandeln«, so Schirdewan.

Die EU und Großbritannien haben eine Regelung gefunden, die Zollkontrollen zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Nordirland zu vermeiden. Die EU überlässt die Anwendung der Binnenmarkt- und Zollregeln den »Behörden des Vereinigten Königreichs«, wobei es eine »angemessene Überwachung« durch die EU geben soll.

Auswirkungen auf den irischen Friedensprozess

LINKE und Grüne Europaabgeordnete äußerten zudem Bedenken in Bezug auf die Auswirkungen des Brexit auf den irischen Friedensprozess. »Ich habe Zweifel, ob diese Übereinkunft das Karfreitagsabkommen in naher Zukunft nicht untergraben wird, und viele Bürgerinnen und Bürger - sowohl in der EU als auch in Großbritannien - werden sich weiterhin Sorgen um ihre unmittelbare und langfristige Zukunft machen«, so Schirdewan.

»Eine Einigung ist in jedem Fall besser als ein No-Deal-Brexit, so wie es unerlässlich ist, dass der Frieden in Nordirland Bestand hat und der Binnenmarkt aufrecht erhalten wird. Dieser Deal bietet beides. Dennoch bleiben wir davon überzeugt, dass der beste Deal für die Briten - und die Bürger der anderen 27 EU-Staaten - der Verbleib des Königreichs in der EU wäre«, erklärte Philippe Lamberts, Ko-Vorsitzender der Grünen-Fraktion. Mit Agenturen

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