Mangas, Memes und Terror

Über die Online-Propaganda des Täters von Halle und die internationale Rechtsterroristen-Fanszene, die seine und andere Propaganda verbreitet

  • Roland Sieber
  • Lesedauer: 6 Min.

Um 11:57 Uhr am 9. Oktober, wenige Minuten vor den ersten Schüssen auf die Synagoge in Halle, wird auf dem Imageboard »Meguca« ein Posting samt Link zum Livestream des Attentäters veröffentlicht. Dieser läuft bereits seit drei Minuten. In der mutmaßlichen Tatankündigung ist auch ein Link zum Download von Dateien enthalten. In diesen findet sich ein Manifest, in dem der mutmaßliche Täter drei Ziele nennt, die es zu erreichen gilt. Und ein Bonus. Mein erster Gedanke beim Lesen war, ein Bonus-Level. Ist es an dieser Stelle noch ein Gedanke, wird es am Ende des Pamphlets deutlich: Eine beunruhigende Liste von »Achievements«, von »Erfolgen«, die es unter anderem für das Töten von Menschen gibt, die nicht ins rassistische und antisemitische Weltbild des Täters passen. Es liegt nahe, dass sich hier auf die Xbox-Achievements bezogen wird.

Auch die Inszenierung der Tat in Livestream deutet auf eine Bezugnahme auf die Gaming-Kultur hin. Dabei muss erwähnt werden, dass Gaming inzwischen bei den unter 35-Jährigen Mainstream ist und längst in der Pop- und Jugendkultur angekommen ist. Wer seine Tat wie ein Livestream eines Ego-Shooters inszeniert, muss nicht selbst zwangsläufig Gamer sein, auch wenn der Livestream über das auf Gamer spezialisiertes Videoportal »Twitch« erfolgte. Die Inszenierungen von Terroranschlägen, die an Computerspiele erinnern, wird als »Gamification of Terror« bezeichnet. Dies leitet sich von der Anwendung von spieltypischen Elementen zur Motivationssteigerung von teilnehmenden Personen in anderen Bereichen ab, zum Beispiel in Schulen, zur Mitarbeitermotivation im Berufsleben oder in der medizinischen Rehabilitation. Auch diese Praxen werden ebenfalls als Gamification (Spielifikation) bezeichnet.

In der aktuellen Diskussion zu Halle geht es auch darum, dass Terroristen Kommunikationswege nutzen, die unter Gamern verbreitet sind. Dazu zählen neben Twitch, die kommerzielle Gaming-Plattform »Steam« und das Chat-Programm »Discord«, aber auch Imageboards.

Die unabhängige Website Meguca, auf der die Tatankündigung des Attentäters von Halle veröffentlicht wurde, ist lose mit dem Anime-Board von »4chan« verbunden. Imageboards sind spezielle Foren, die für den Tausch von Bilddateien und die Diskussion über diese konzipiert wurden. Sie sind auch Treffpunkte, um japanische Comic- und Zeichentrickfiguren zu tauschen und über diese zu diskutieren,

Für die Verbreitung von Memes - humoristische oder satirische Bildmontagen sowie Kurzvideos - sind diese eine ideale Plattform. Aber auch die extreme Rechte nutzt Memes als Propagandaträger. Diese sind ein optimales Medium um unter anderem antisemitische, rassistische und antifeministische Parolen sowohl subtil als Gag verpackt, als auch als offensichtliche Gewaltandrohung zielgruppenorientiert zu verbreiten.

Verschwörungstheorien und Memes, die über Imageboards verbreitet werden, finden sich oft kurz darauf auch auf Plattformen für Gamer und deren Profilen in Computerspielen wieder. Dies gilt auch für rechte Propaganda. Diskussionen und Auseinandersetzungen innerhalb der Gamerszene werden wiederum auch auf Imageboards ausgetragen. Als 2014 unter dem Hashtag #GamerGate Sexismus und Rassismus in der Gaming-Branche kritisiert wurde, folge zuerst eine über 4chan und später über 8chan koordinierte antifeministische und rassistische Hasskampagne gegen Frauen in der Tech- und Gaming-Branche.

In den Generationen, die mit Online-Games aufgewachsen sind, sind Mangas und Animes ein popkulturelles Phänomen. Diese unterschiedlichen Milieus und Subkulturen der Gamer und Anime-Fans sind zwar nicht identisch, aber überschneiden sich doch sowohl personell, als auch in der Nutzung gemeinsamer Online-Treffpunkte.

Die mutmaßliche Tatankündigung des Attentäters von Halle kurz vor 12 Uhr am Mittwoch unterbricht auf Meguca, einem internationaler Treffpunkt für antisemitische Fans von japanischen Comics und Zeichentrickfilmen, einen Thread, in dem antisemitische Verschwörungstheorien und judenfeindliche Pamphlete verbreitet werden. Unter den hochgeladenen Dateien des Täters befinden sich auch Anleitungen zum Bau von Handgranaten, von Munition und Schusswaffen. Ebenfalls enthalten sind Fotos der Sprengsätze und Tatwaffen, die später im Livestream auftauchen.

Zunächst werden diese Waffenfotos Hauptthema im Thread. Die User schwenken nach einigen Minuten ihre Aufmerksamkeit aber auf den Livestream. Während der 27-jährige Täter zwei Menschen erschießt und zwei weitere durch Schüsse schwer verletzt, wird sein Angriff auf die Synagoge und den Dönerladen überwiegend zustimmend kommentiert. In der üblichen zynischen Form wird auf Imageboards darüber diskutiert, ob die Passantin, die der Täter erschießt, das richtige Ziel war, weil er doch lieber die Juden in der Synagoge töten solle.

Während des Anschlags sollen fünf User das Livevideo auf Twitch gesehen haben. Von Meguca aus wird dann der Link zum Video über das überwiegend deutschsprachige Imageboard Kohlchan und dem überwiegend englischsprachigen 4chan sowie über den Messenger Telegram verbreitet. 2.200 Menschen sollen das etwa 35-minütige Video kurz nach der Tat bis zur Löschung durch die Streamingplattform gesehen haben. Die Kopien des Videos verbreiten sich weiterhin. Die Datenanalystin und Extremismusforscherin Megan Squire beobachtete, wie das Tatvideo in einer Lang- und einer Kurzversion durch Weiterleitung, über zwei größere öffentliche Telegram-Kanäle und einige kleinere, innerhalb von nur 30 Minuten etwa 15.625 Nutzer erreichte.

Der Anschlag von Halle reiht sich so in eine ganze Serie ein. Die virtuell und global vernetzten Attentäter sind ideologisch keine Einzeltäter. Am 15. März griff der Rechtsterrorist Brenton T. zwei Moscheen in Christchurch in Neuseeland an und tötete dabei 51 Menschen. Zuvor schrieb er im Board »/pol/ - Politically Incorrect« auf 8chan, dass es Zeit sei, das Shitposting zu stoppen und einen Beitrag im »realen Leben« zu leisten.

Er werde einen Angriff gegen die »Eindringlinge« durchführen und diesen live streamen. Was er dann auch mit einer Helmkamera tat. Zudem verlinkte er sein Manifest mit dem Titel »The Great Replacement« (Der große Austausch). Inspiriert ist er von der selbst ernannten »Identitären Bewegung« und von Anders Breivik, der bei einem Doppelanschlag 2011 in Norwegen 77 mehrheitlich junge Menschen tötete. Und auch der Christchurch-Angriff inspirierte Nachahmungstäter. Nach seiner Tat beginnt der »Brenton T. Memetic Warfare« auf 8chan mit dem Ziel, möglichst viele Memes mit dem Attentäter von Christchurch zu verbreiten, um möglichst viele Nachahmungstäter zu motivieren.

In der Steam-Community benannten sich bereits am Tatabend 141 User um. Einen Tag später waren es 248 und am 25. März waren es 385, die den Namen des Rechtsterroristen von Christchurch nutzten. Sie trugen Beinamen wie Kebab Remover und verbreiteten Fotos, Manifest und Tatvideo des Attentäters. Inzwischen versucht die Gaming-Plattform Steam dies zu unterbinden.

Auch über das Chat-Programm Discord vernetzt sich die Rechtsterroristen-Fanszene. So wird T. auf deutschsprachigen Discord-Servern als »Heiliger« Saint Brenton verehrt, sein Tatvideo und sein Manifest werden, ebenso wie über den Messenger Telegram, in Dutzende Sprachen übersetzt und verbreitet.

Bereits vor dem Anschlag in Halle bezogen sich mindestens drei Attentäter auf den Terroristen von Christchurch und kündigten ihre Anschläge ebenfalls auf politischen Diskussionsforen von Imageboards an.

  • Der 19-jährige John E., der am 27. April bei einem Anschlag auf eine Synagoge in Poway (USA) eine Frau tötete.
  • Der 21-jährige Patrick C., der in El Paso in Texas (USA) am 3. August 22 Menschen erschoss.
  • Und der 21-jährige Philip M. der aus rassistischem Motiv seine Stiefschwester tötete, bevor er eine Moschee in Baerum (Norwegen) angriff.
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