Trudeaus Liberale büßen absolute Mehrheit ein

Kanadas Premierminister ist zukünftig auf Koalitionspartner angewiesen, könnte aber auch eine Minderheitenregierung wagen

  • Lesedauer: 3 Min.

Ottawa. Kanadas Premierminister Justin Trudeau kann seine liberale Regierung trotz einer deutlichen Schwächung und dem Verlust der absoluten Mehrheit fortführen. Mit voraussichtlich 157 errungenen Sitzen in Ottawa blieb die Regierungspartei des 47-Jährigen bei der Parlamentswahl deutlich unter ihren 184 Mandaten von 2015 - für eine absolute Mehrheit wären 170 Sitze nötig gewesen.

»Wir werden zusammen vorwärts gehen in eine bessere Zukunft«, sagte Trudeau am frühen Dienstagmorgen in seiner Ansprache vor Anhängern in Montréal. Die Konservativen lagen aufgrund des Direktwahlsystems mit 121 Mandaten deutlich hinter den Liberalen, obwohl sie insgesamt die meisten Stimmen erhielten.

Das Ergebnis bedeutet, dass die Liberalen zum Regieren nun die Duldung kleinerer Parteien brauchen und sich aktiv Mehrheiten suchen müssen, beispielsweise bei den Sozialdemokraten oder dem erstarkten regionalen Bloc Québécois. Minderheitsregierungen sind in Kanada nicht Ungewöhnliches, haben in der Regel aber eine kürzere Halbwertszeit.

An seine Kritiker gewandt sagte der 47-jährige Trudeau, er habe ihre Enttäuschung vernommen und werde sicherstellen, dass ihre Stimmen gehört werden. Die liberale Regierung werde fortsetzen, was sie in den vergangenen vier Jahren begonnen habe - unter anderem den Kampf gegen den Klimawandel und gegen die Waffengewalt.

Der konservative Spitzenkandidat Andrew Scheer gab sich kämpferisch gegenüber Trudeau und betonte, dass seine Partei insgesamt die meisten Stimmen erzielt habe: »Trudeaus Führung ist angeschlagen und seine Regierung wird bald vorbei sein«, sagte er. Und wenn sie falle, würden die Konservativen bereit stehen. »Wir sind die Regierung in Lauerstellung«.

Der Anführer des Bloc Québécois, Yves-François Blanchet, streckte den Liberalen unter Vorbehalt die Hand aus: Die Regionalpartei könne mit jeder Regierung kooperieren. »Wenn das, was vorgeschlagen wird, gut für Quebec ist, dann wird der Bloc Québécois es unterstützen«, meinte er. Die Partei der frankophonen Minderheit errang mit 32 Sitzen im Parlament, 28 mehr als 2015, einen großen Sieg.

Jagmeet Singh von den Sozialdemokraten, die mit 24 Sitzen hinter den Erwartungen zurück blieben und 20 Sitze verloren, versprach eine »konstruktive und positive« Rolle. »Wenn die anderen Parteien mit uns zusammenarbeiten, haben wir eine unglaubliche Chance, das Leben der Kanadier so viel besser zu machen.« Elizabeth May von den Grünen lobte die drei Sitze ihrer Partei als bestes Ergebnis ihrer Geschichte.

Es wird erwartet, dass die kleineren Fraktionen im Abgeordnetenhaus deutlichen Einfluss auf die Regierung nehmen werden. Deren Bilanz in den vergangenen vier Jahren war durchwachsen: Zwar hatte sie wie versprochen Marihuana legalisiert und mehr als 25 000 syrische Flüchtlinge im Land aufgenommen. Einige seiner Versprechen wie eine Wahlrechtsreform, einen ausgeglichenen Haushalt bis 2019 oder die Bekämpfung der eklatanten Benachteiligung der indigenen Bevölkerung, die er gar zur Priorität seiner Innenpolitik machen wollte, konnte Trudeau aber nicht halten. dpa/nd

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