Drei Bauernfamilien gegen Merkel

Erstmals verhandelt ein Gericht eine Klimaschutzklage gegen die Bundesregierung

  • Folke Havekost, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.

»Die Wetterextreme sind deutlich zu spüren«, sagt Silke Backsen, die auf der unterhalb des Meeresspiegels gelegenen Nordseeinsel Pellworm mit ihrer Familie ökologische Landwirtschaft betreibt: »Erst läuft Pellworm voll wie eine Suppenschüssel und wir saufen ab, danach kommt dann ein Dürresommer.« Rindermast, Schafhaltung und Ackerbau litten darunter, dass die Bundesregierung das selbstgesteckte Ziel einer 40-prozentigen CO2-Reduzierung gegenüber den Werten von 1990 seit 2007 nicht konsequent verfolgt und sich im Klimaschutzbericht 2018 sogar davon verabschiedet hat. Dies sei ein unzulässiger Eingriff in die Eigentumsfreiheit der Familie.

Backsen will deswegen mit zwei anderen Bauernfamilien die Bundesregierung juristisch dazu zwingen, die Klimaziele für 2020 einzuhalten. Ihre Klage wird am Donnerstag vor dem Berliner Verwaltungsgericht verhandelt. Im Erfolgsfalle müssten wohl einige Kohlekraftwerke kurzfristig außer Betrieb genommen werden. Unterstützung bekommen Backsen und Co. von der Umweltschutzorganisation Greenpeace. »Mit ihrem sogenannten Klimaschutzpaket drückt sich die Bundesregierung weitere Jahre davor, den deutschen CO2-Ausstoß endlich deutlich zu senken«, sagt Greenpeace-Klimaexperte Karsten Smid.

»Weil die Bundesregierung seit Jahren ihre eigenen Klimaziele verfehlt, muss sie sich zum ersten Mal vor einem Gericht verantworten«, erläutert Anike Peters weiter, die für Greenpeace die Klage koordiniert: »Technisch wäre es kein Problem, das Ziel zu erreichen, es zählt nur der politische Wille.« Greenpeace verweist dabei auf eine gerade veröffentliche Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, der zufolge die Klimaziele frühestens 2025 mit fünf Jahren Verspätung erreicht werden.

Neben den Backsens klagen auch eine Obstbaufamilie aus dem Hamburger Alten Land und eine Milchbauernfamilie aus dem Spreewald. »Alle drei Familien sind auf unterschiedliche Weise vom Klimawandel betroffen«, sagt Backsen. Weil die Politiker die großen Stellschrauben in der Hand hätten, sei die Klage »ein wichtiger Baustein auf dem Weg, die Klimaziele zu erreichen«.

Die klagenden Familien sind zuversichtlich, vor Gericht belegen zu können, inwieweit ihre wirtschaftliche Einbußen tatsächlich auf den menschengemachten Klimawandel zurückzuführen sind. Hilfe bekommen sie dafür auch von Forschern: »Neue Methoden in der Wirtschaft ermöglichen es, auch die regionalen Auswirkungen des Klimawandels festzustellen«, erklärt der Meeresspiegelforscher Alexander Nauels von der Berliner Organisation Climate Analytics.

Juristisch betrachtet steht und fällt die Klage mit der Frage, welche Rechtsverbindlichkeit die verschiedenen Kabinettsbeschlüsse zur Klimapolitik unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) seit 2007 besitzen. Sind sie nicht mehr als politische Absichtserklärungen, haben die drei Familien vor dem Verwaltungsgericht kaum eine Chance. Für Klägeranwalt Séverin Pabsch ist die Exekutive jedoch mit den fortgesetzten Klimaziel-Beschlüssen eine »Selbstbindung« eingegangen, zumal der Bundestag keine eigenen Gesetze dazu beschlossen hat. »Es gibt in Deutschland kein Klimaschutzgesetz, sondern nur Beschlüsse der Bundesregierung, die wiederum in andere Gesetze bereits eingeflossen sind«, sagt der Jurist. Die Bundesregierung habe damit kein Recht, ihre Klimaziele von heute auf morgen willkürlich aufzugeben.

Greenpeace setzt darauf, dass die deutschen Richter sich den Entscheidungen des Zivilgerichts von Den Haag anschließen, das die niederländische Regierung 2015 und 2018 zur nachhaltigen Emissionsminderung verurteilte. Ein letztinstanzliches Urteil zur Klage der Umweltorganisation Urgenda steht zwar noch aus. Allgemein wird aber damit gerechnet, dass der niederländische Staat auch in einem Grundsatzurteil daran erinnert wird, seine Fürsorgepflicht für die Bürger nicht zu verletzen. »Die rechtlichen Argumente für das Verwaltungsgericht sind vorhanden«, sagt Anwalt Pabsch. Die Bundesregierung habe sich in ihrer Klageentgegnung nicht inhaltlich geäußert, sondern nur auf ihre Unzulässigkeit verwiesen. Neben der Einhaltung der Klimaziele 2020 fordert die Klageschrift auch, den in den vergangenen Jahren erzielten Überschuss an CO2-Emissionen künftig zusätzlich einzusparen.

Sollten die Richter der Argumentation der Kläger bis zur letzten Instanz folgen, könnte dies den Kohleausstieg in Deutschland rapide beschleunigen. »Kurzfristig Emissionen einzusparen, geht am einfachsten über das Abschalten von Kohlekraftwerken«, so Greenpeace-Expertin Peters.

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