Schwierige Prognose

Bei der Brexit-Wahl gelten die Tories als Favoriten

  • Peter Stäuber, London
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Ausgangslage scheint auf den ersten Blick klar: Die Tories liegen in Umfragen weit vorne, während die Labour-Partei zerstritten ist und Mühe hat, den Wählern ihre Brexit-Politik zu erklären. Wenn die Briten im Dezember in die Wahllokale gehen, prognostizieren viele Beobachter eine parlamentarische Mehrheit für die Konservativen. Aber die politische Situation im Land ist derzeit so unbeständig, dass sich in den kommenden sechs Wochen noch einiges ändern kann.

Die Tories sind unter Boris Johnson stark nach rechts gerückt, das Programm von Jeremy Corbyns Labour-Partei ist linker als je zuvor. Doch derzeit sind die Konservativen im Vorteil: In fast allen Umfragen haben sie einen klaren Vorsprung vor Labour, meist sind es mehr als zehn Prozent.

Allerdings hat sich auf den Regierungsbänken keineswegs Enthusiasmus breitgemacht. Gegenüber »Sky News« sagte ein Tory-Abgeordneter: »Es wird sich kaum ein Kollege finden, der sich sicher ist, dass diese Wahl eine gute Idee ist.« Sie erinnern sich an den Sommer 2017: Als die damalige Premierministerin Theresa May Neuwahlen ankündigte, lagen die Tories etwa 20 Prozent vor Labour, ein Triumph wurde erwartet. Aber dann holte die Opposition dramatisch auf, am Ende hatte May ihre Parlamentsmehrheit eingebüßt.

Die Vorzeichen sind diesmal andere. Vor allem wird der Brexit eine weit größere Rolle spielen als bei der vergangenen Wahl. Denn Johnson präsentiert sich als Verteidiger der »Leave«-Wähler, deren Wünsche er umzusetzen versucht hat - aber am Widerstand des »Remainer«-Parlaments gescheitert ist.

Allerdings hat der Premierminister sein eisernes Versprechen, den Brexit am 31. Oktober zu vollziehen, gebrochen. Damit dürfte er einen guten Teil der EU-skeptischen Wähler in die Arme von Nigel Farages Brexit-Partei treiben; die liegt derzeit bei rund elf Prozent.

Auch Johnson selber ist keineswegs unumstritten. Zwar ist er bei vielen Briten beliebt und kann im Wahlkampf sicherlich effektiver auftreten als Theresa May. Aber bei ebenso vielen Wählern provoziert er bittere Animosität. Als Regierungschef ist er im Kontakt mit Normalbürgern kaum so entspannt und zugänglich, wie man erwartet hatte.

Dennoch wird es für die Labour-Partei keine leichte Aufgabe, den Vorsprung der Tories wettzumachen. Ein Grund ist ihre Brexit-Politik. Mittlerweile hat sich Labour auf den Plan geeinigt, einen neuen Brexit-Deal auszuhandeln, um dann ein zweites Referendum abzuhalten. Diese Position den Wählern zu erklären und damit sowohl EU-Anhänger wie auch EU-Gegner zu überzeugen, dürfte eine Herausforderung werden.

Besonders schwierig ist dies, weil die Liberaldemokraten alles daran setzen, die »Remain«-Wähler für sich zu gewinnen. Die Vorsitzende Jo Swinson wirft Corbyn vor, ein verkappter Brexit-Anhänger zu sein. Sie präsentiert ihre Partei als einzige Option für EU-freundliche Briten. Mit dieser Botschaft können die Liberaldemokraten zwar keine Mehrheit der Briten für sich gewinnen - derzeit liegen sie bei rund 18 Prozent -, aber möglicherweise genug, um Labour einige Sitze wegzuschnappen.

Labour wird jedoch darauf zählen können, dass Corbyn und viele seiner Abgeordneten geübte Aktivisten sind: Der Labour-Chef kommt auf Kundgebungen und beim Austausch mit Normalbürgern viel lockerer und überzeugender rüber als im Politbetrieb in Westminster. Auch werden Tausende Parteimitglieder in den kommenden Wochen von Tür zu Tür gehen, um mit dem radikalen Labour-Programm zu werben. Die Corbyn-nahe Basisorganisation Momentum hat innerhalb von zwölf Stunden 100 000 Pfund an Spenden für die Kampagne gesammelt. Wenn Labour eine Chance hat, das Blatt zu wenden, dann durch diesen aktiven Wahlkampf auf der Straße.

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