Kommunen fordern Schutz für Bürgermeister

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund nennt die zunehmenden Angriffe »überwiegend rechts motiviert«

  • Lotte Laloire
  • Lesedauer: 3 Min.

Im März 2015 konnte er einfach nicht mehr. Rassisten hatten eine Flüchtlingsunterkunft angezündet, der Bürgermeister von Tröglitz (Sachsen-Anhalt), Markus Nierth, nahm Geflüchtete in seinem privaten Wohnraum auf. Mit aller Kraft widersetzte er sich den Rassisten. Die Anfeindungen, die er und seine Familie von Neonazis aushalten mussten, rissen nicht ab. Schließlich trat er zurück.

Weil Fälle wie diese in den letzten Jahren massiv zugenommen haben, setzte der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) am Dienstag einen Warnruf ab: Die Beleidigungen, Drohungen und Gewalt gegen Mandatsträger seien eine »große Gefahr« und »direkte Angriffe« auf die Stabilität der Demokratie in den Kommunen. Auf Nachfrage von »nd«, aus welchem politischen Lager die meisten Angriffe kommen, erklärte der Geschäftsführer des DStGB, Gerd Landsberg, diese seien »überwiegend wohl der politisch-motivierten Kriminalität Rechts zuzuordnen«.

Landsberg verlangte deshalb mehr staatlichen Schutz nicht nur für Spitzenpolitiker, sondern auch für ehrenamtliche Bürgermeister sowie für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes. Auf die Frage, wie dies konkret gestaltet werden solle, ob er etwa Bodyguards für alle Amtsträger fordere, sagte er: »Schutz für alle kann und soll nicht das Ziel sein, wir wollen und brauchen Bürgernähe.« Er plädiert jedoch für einen »besseren strafrechtlichen Schutz, der eine generalpräventive Wirkung hat« sowie für eine »Anerkennungskultur«. Engagierte Menschen in der Lokalpolitik verdienten dafür Achtung, Respekt und vor allem die Unterstützung des Staates und der gesamten Gesellschaft, sagte er. Die Betroffenen brauchten zentrale Anlaufstellen in den Ländern, die zum einen als Melde-, aber auch als Informationssammelstelle dienten. »Vor dem Hintergrund dieser Hasswelle sinkt teilweise die Bereitschaft, sich ehrenamtlich vor Ort als Bürgermeisterin oder Bürgermeister zu engagieren«, sagte Landsberg der »NOZ«. Vereinzelt habe es, wie bei Markus Nierth, bereits Rücktritte gegeben.

DStGB-Chef Landsberg verwies auf eine Umfrage unter mehr als Tausend Bürgermeistern, wonach 40 Prozent aller Rathäuser schon mit Stalking oder Beschimpfungen zu kämpfen hatten. Acht Prozent der befragten Kommunen hätten auch Erfahrungen mit körperlichen Angriffen. Der Umfrage aus dem Juni zufolge seien die Zahlen gegenüber einer vergleichbaren Umfrage vor zwei Jahren deutlich angestiegen und hätten nun ein »erschreckendes Niveau« erreicht.

Die Umfrage zeigt, dass Lokalpolitiker*innen in Ostdeutschland besonders unter Angriffen leiden. Ganze 60 Prozent der Kommunen in Brandenburg erlebten bereits Stalking. In allen Ostländern zusammen betrifft das 52 Prozent der Kommunen, der Bundesdurchschnitt liegt bei 41 Prozent. Dies bestätigt gegenüber »nd« auch die Eisenacher Oberbürgermeisterin Katja Wolf (LINKE): »Natürlich war auch ich schon mehrfach Opfer von Drohungen, Angriffen und Übergriffen.« Sie nennt das »leider inzwischen Normalität« und mahnt: »Man darf sich nicht davon einschüchtern lassen.« Wenn ihre Kinder betroffen seien, ließe aber auch sie das nicht kalt.

Während das Thema »Reichsbürger« mittlerweile präsenter geworden sei, entspannten sich Angriffe, die mit Flüchtlingspolitik gerechtfertigt würden, heißt es in der Auswertung der Umfrage. Reichbürger sind meist Rechte, die die Existenz der Bundesrepublik leugnen und die freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehnen. Mit ihnen hatten laut der Umfrage in Brandenburg bereits 90 Prozent der Rathäuser Kontakt, während im Bundesdurchschnitt gerade einmal 65 Prozent auf diese Herausforderung trafen.

Dass aus Beleidigungen und Bedrohungen in Ost wie West handfeste Gewalt werden kann, zeigte bereits 2015 ein rechtsextremes Attentat auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker sowie der Mord am Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU). Zuletzt waren Morddrohungen aus rechtsradikalen Kreisen gegen die Grünen-Politiker Cem Özdemir und Claudia Roth bekannt geworden. Sie hatten eine Debatte über mögliche Sicherheitsmaßnahmen ausgelöst.

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