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Im AfD-Jargon

Wie Sachens Ministerpräsident Michael Kretschmer für eine weitere Normalisierung der Ausdrucksweise von Rechtspopulisten sorgt

  • Vanessa Fischer
  • Lesedauer: 3 Min.

Während Ernten in der Sahelzone verdorren, Inseln im Pazifik verschwinden und der Amazonas brennt, meldete sich Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) am Donnerstag auf dem Kurznachrichtendienst Twitter zu Wort und kritisierte die deutsche Klimapolitik: »Ich empfinde das Klimapaket an vielen Stellen als Inländerdiskriminierung«, so der Ministerpräsident.

Ob Kretschmer mit seiner Äußerung nur um jeden Preis eine Koalition mit den Grünen in dem Freistaat verhindern will? Den Bogen von Diskriminierung, also einer sachgrundlosen Ungleichbehandlung - etwa aufgrund von Geschlecht, Herkunft oder Religion -, hin zu höheren Luftverkehrsteuern und einer Bepreisung für den CO2-Ausstoß zu spannen, scheint dennoch abstrus. In den sozialen Medien erntete Kretschmer dafür auch gleich allerlei Spott. Er bediene sich der AfD- und Pegida-Rhetorik, hieß es dort.

Tatsache ist, dass der Begriff »Inländerdiskriminierung« in der Rechtswissenschaft eine Situation bezeichnet, in der ein Staat eigene Staatsangehörige schlechterstellt als ausländische. Plump gesagt behauptet Kretschmer also, Deutsche dürften in der BRD etwas nicht, das Ausländer in der BRD dürfen. Das ist nicht nur weit von der Realität entfernt, sondern auch ein gutes Beispiel dafür, wie Rechtspopulismus und Klimazerstörung zusammenhängen.

Denn wer sich durch die Umsetzung der Klimaschutzziele als benachteiligt empfindet, sollte zunächst einmal darauf schauen, wie viel der Staat zum Klimawandel beiträgt. Die BRD ist der größte Treibhausgasemittent Europas, der sechstgrößte der Welt. Der deutsche CO2-Ausstoß pro Kopf ist deutlich höher als der Durchschnitt in der EU: Laut einer Studie der Europäischen Umweltagentur lagen die CO2-Emissionen in Deutschland im Jahr 2017 bei 11 Tonnen pro Kopf, in Malta bei nur 4,6 Tonnen. Der EU-Durchschnitt lag bei 8,4 Tonnen.

Als größte Volkswirtschaft der EU kommt Deutschland eine Schlüsselrolle bei der EU-Klimapolitik zu - was Kretschmer in seinem Tweet ignoriert. Andere europäische Länder, etwa Schweden oder Dänemark, haben bereits deutlich mehr für den Klimaschutz geleistet. Spanien beispielsweise will bis 2030 komplett aus der Kohle aussteigen. Schon bis 2020 sollen dort mehr als die Hälfte der Kohlekraftwerke schließen. Auch das ignoriert Kretschmer.

Zuletzt scheint den Ministerpräsidenten auch eine Erklärung von mehr als 11 000 Wissenschaftler*innen aus 153 Ländern nicht erreicht zu haben. Erst am Dienstag hatten diese in dem Fachjournal »BioScience« gewarnt: »Wenn sich das menschliche Verhalten, das zu Treibhausgasausstoß führt, nicht grundlegend und anhaltend verändert, dann ist unsägliches menschliches Leid nicht mehr zu verhindern.« Desinformation und das Ignorieren von Fakten sind Kernpfeiler des Rechtspopulismus. AfD und Co. dürften sich jedenfalls bei Kretschmer für eine weitere Normalisierung und Etablierung ihrer Ausdrucksweise bedanken.

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