Wenn der Regenwald brennt

Klimaschutz muss zur Priorität internationaler Handelspolitik werden, meint Anna Cavazzini

  • Anna Cavazzini
  • Lesedauer: 3 Min.

Fast jede Woche besuchen mich Vertreterinnen und Vertreter indigener Gemeinschaften aus Brasilien im Europaparlament. Ihr Lebensraum, der Regenwald, wird seit Jahren gerodet, abgefackelt und zerstört. Dieses Jahr hat diese Entwicklung nie da gewesene Ausmaße erreicht. Brasiliens Präsident Bolsonaro lockerte die Umweltaufsicht, kürzte Gelder und gab indigenes Land für die großen Agrobetriebe frei. Bolsonaro treibt eine Politik auf die Spitze, bei der es darum geht, die natürlichen Ressourcen bis zum letzten Tropfen auszuquetschen und dabei nicht nur die Klimakatastrophe, sondern auch die Aushöhlung der Menschenrechte in Kauf zu nehmen. Die Indigenen sind verzweifelt. Und fest entschlossen, Widerstand zu leisten.

Für die EU haben die Indigenen eine wichtige Nachricht: Das geplante Mercosur-Abkommen wird den immensen Stress, dem der Regenwald bereits ausgesetzt ist, weiter verstärken. Es wird wie ein Brandbeschleuniger wirken. Die Indigenen reihen sich damit in die Kritik ein, die auch von Frankreichs Präsidenten Macron, von den Regierungen Irlands, Finnlands und Luxemburgs, vom österreichischen Parlament sowie von Abgeordneten zahlreicher Fraktionen im Europaparlament vorgebracht wird.

Aber was steckt eigentlich genau hinter Mercosur? Am 28. Juni 2019 brachten die EU und die Mercosur-Mitgliedsländer Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay die Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen (im Rahmen eines Assoziierungsabkommens) nach fast 20 Jahren zum Abschluss. Durch das Abkommen würde die weltweit größte Freihandelszone entstehen, die über 770 Millionen Menschen umfasst. Während sich die Proteste vervielfachen, kündigte die Kommission am 19. September an, dass sie offiziell die rechtliche Überprüfung des Textes einleitet. Nach deren Abschluss beginnt die Ratifizierungsphase, bei der Rat, Europaparlament und nationale Parlamente zustimmen müssten.

Das Abkommen soll über 90 Prozent der Zölle für zwischen der EU und den Mercosur-Staaten gehandelte Waren abschaffen. Für manche Produkte wird eine längere Übergangsperiode zur Zollliberalisierung eingeräumt. Die Hauptprofiteure auf europäischer Seite sind die Auto- und die Zulieferindustrie, Maschinenbau, Chemie- und pharmazeutische Industrie. Im Agrarsektor verpflichtet sich die EU auf eine jährliche Importquote von 99 000 Tonnen Rindfleisch zu einem verminderten Zollsatz von 7,5 Prozent, 25 000 Schweinefleisch zu einem verminderten Zollsatz von 83 Euro die Tonne und zollfrei 180 000 Geflügel.

Daneben beinhaltet Mercosur ein Nachhaltigkeitskapitel, in dem Umwelt-, Klima- und Arbeitsstandards zwar verbindlich geregelt sind, aber bei Verstößen beispielsweise gegen die Ziele des Pariser Klimaabkommens oder gegen eine weitere Entwaldung nicht sanktionierbar sind. Das Mercosur-Handelsabkommen erleichtert also auf der einen Seite Soja- und Rindlfeischimporte aus Brasilien, kann aber auf der anderen Seite Umwelt- und Klimavergehen nicht sanktionieren. Dadurch wird das Abkommen die ohnehin krasse Intensivierung der Landwirtschaft, die Rodung und damit auch die Vertreibung Indigener weiter anheizen. Von Befürworterseite wird oft gesagt, dass die EU mit Mercosur mehr Einfluss hätte als ohne, um auf Bolsonaro einzuwirken. Ich glaube, dass der Einfluss über das zahnlose Nachhaltigkeitskapitel zu gering ist, um Schäden, die das Abkommen an anderer Stelle hervorrufen wird, auszugleichen.

Wir können Klimaschutz und Internationale Wirtschaftsbeziehungen nicht mehr unabhängig voneinander denken. Klimaschutz muss deshalb zur Priorität internationaler Handelspolitik werden. Das heißt, Handelsabkommen müssen so gestrickt sein, dass sie nicht zur Steigerung der CO2-Emissionen führen und dass die EU ihren CO2-Abdruck weiter in andere Länder auslagert. Die Nachhaltigkeitskapitel in Handelsabkommen müssen sanktionierbar werden, um endlich Wirkung zu entfalten. Wir brauchen außerdem verbindliche Regeln, die sicherstellen, dass Lieferketten europäischer Unternehmen frei sind von Menschenrechtsverletzungen und Umweltverbrechen wie Entwaldung. Die Zivilgesellschaft fordert schon länger ein solches Lieferkettengesetz.

Wir können von Europa aus nicht Bolsonaro abwählen, wir können ihn nicht zwingen, seine Gesetze zurückzunehmen. Aber wir haben es in der Hand, über unsere Handelspolitik nicht noch größeren Schaden im Regenwald anzurichten. Dazu gehört, dieses Abkommen, so wie es auf dem Tisch liegt, nicht zu ratifizieren.

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