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Vorwand Mietendeckel

Experten bezweifeln, dass das geplante Gesetz Genossenschaften vom Neubau abhält

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

Aufregung bei der »Morgenpost«: Zwei Genossenschaften hätten ein Neuköllner Bauvorhaben gestoppt, titelte das konservative Blatt am Dienstagmorgen. Schuld soll der Mietendeckel sein. Doch gestoppt haben die Gemeinnützige Baugenossenschaft Steglitz sowie der Beamten-Wohnungs-Verein zu Köpenick nur ihre Teilnahme am Interessenbekundungsverfahren für das von der landeseigenen Stadt und Land vorangetriebene Projekt Buckower Felder am Südrand Neuköllns.

Rund 700 Wohnungen soll das Landesunternehmen selbst bauen, weitere 200 Wohnungen sollen durch weitere gemeinwohlorientierte Akteure errichtet werden. Noch bis Februar 2020 läuft die zweite Phase des Verfahrens. Nach Absprung der aus den zwei Genossenschaften bestehenden Bietergemeinschaft sind immer noch zehn von elf Interessenten übrig. »Es ist ein normaler Vorgang, dass im Rahmen eines Interessenbekundungsverfahrens Bieter abspringen«, sagt Katrin Dietl, Sprecherin der Stadtentwicklungsverwaltung auf nd-Anfrage. »Sollten alle zehn noch beteiligten Bietergemeinschaften abspringen, müsste laut städtebaulichem Vertrag die Stadt und Land die 200 Wohnungen selbst bauen«, stellt Dietl klar, dass deswegen keine einzige Wohnung wegfallen wird.

»Nach unseren Berechnungen werden beiden Genossenschaften aufgrund des Mietendeckels zusammen in den nächsten fünf Jahren neun Millionen Euro Mieteinnahmen und damit Eigenmittel fehlen«, zitiert die »Morgenpost« Andrea Zwingelberg, Vorstandsmitglied des Beamten-Wohn-Vereins zu Köpenick. Da helfe auch nicht, dass Neubau ab 2014 von dem Instrument ausgenommen sei.

»Die Zahlen halte ich für sehr hoch gegriffen«, sagt Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit dem »nd«. Es sei fraglich, ob die Berechnung überhaupt auf die neuen Regeln des Mietendeckels aktualisiert worden sei, auf die sich Rot-Rot-Grün nach hartem Ringen im Oktober geeinigt hat.

Bei zusammengenommen 8750 Wohnungen, über die die Genossenschaften Ende 2018 verfügten, würde das für jede Wohnung und jeden Monat der fünf Jahre 17,14 Euro weniger Einnahmen als geplant bedeuten. Dabei verlangte der Beamten-Wohn-Verein 2018 im Durchschnitt laut Geschäftsbericht gerade mal 5,42 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter. »Außerdem sind Steigerungen der Mieteinnahmen für die Bauinvestitionen angesichts hoher Gewinne nicht ausschlaggebend«, so Trautvetter weiter. Tatsächlich profitieren Genossenschaften derzeit massiv von den sinkenden Zinsen auf dem Kapitalmarkt und sparen bei der Ablösung alter Kredite durch neue Darlehen jährlich Millionenbeträge.

»Zweck und Förderauftrag der Genossenschaften ist nicht Profit zu erwirtschaften, sondern bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen, daher haben Neubauvorhaben nichts mit dem Mietendeckel zu tun«, sagt Bernd Landgraf von der Initiative Genossenschaft von Unten. In ihr kämpfen Mitglieder mehrerer Genossenschaften seit 2008 für mehr Mitbestimmung und Demokratie in den Wohnungsbaugenossenschaften sowie für bezahlbaren Wohnraum.

Die Argumentationen der Vorstände einiger Genossenschaften, insbesondere im Verband Wohnungsbaugenossenschaften Berlin, werde vom Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) und vom Dachverband der Immobilienwirtschaft (GdW) gelenkt, erklärt Landgraf. »Diese Lobbyverbände nutzen die Vorstände der Genossenschaften, um sich für die Interessen der privaten Wohnungsunternehmen einzusetzen - für maximale Profiterwirtschaftung«, ist er überzeugt.

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