Was sie wollen, weiß man nicht

Silke und Holger Friedrich erläutern in einem gefühlt endlosen Text, was sie mit der »Berliner Zeitung« vorhaben - doch man bleibt ratlos zurück

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 4 Min.

Das erste Wort: Langeweile. Es ist ein Zitat, das es nicht besser macht, und wird später durch ein zweites Wort ergänzt: strukturelle Langeweile. Damit beginnt, was manche »Manifest« nennen, andere »Editorial«. Überschrieben ist der beim Scrollen scheinbar nie enden wollende Text - in der Zeitung sind es zwei volle Seiten - online mit »Was wir wollen« und offline mit »Berliner Botschaft«. Zwei gleichzeitig sehr bescheidene und größenwahnsinnige Überschriften, je nachdem, wie man sie verstehen möchte.

Geschrieben haben den Text Silke und Holger Friedrich. Als im September die ersten Meldungen erschienen, dass das Ehepaar die »Berliner Zeitung« gekauft hatte, war die allgemeine Reaktion Ratlosigkeit. Silke und Holger wer? Beim Googeln ließ sich lediglich herausfinden, dass Silke Friedrich eine Privatschule leitet, dass es da mal Zoff gegeben hatte. Woher die Friedrichs mal eben ein paar Millionen übrig hatten (im »Spiegel«: »Wir können höchstens ein bisschen Zeit und Geld verlieren«), erfuhr man erst später: Holger Friedrich hatte seine Software-Firma an SAP verkauft. Bildung, IT - und jetzt eine Zeitung? Was wollten die beiden? Viel las man darüber nicht. Irgendwie mehr digital, aber die »Berliner Zeitung« soll weiter bestehen bleiben. Irgendwie mehr Osten, weil die Friedrichs ostsozialisiert sind. Und sonst so?

Pankow, Freudenberg, Krenz

»Langeweile« ist ein Song der Gruppe Pankow. Außerdem kommen im Editorial vor: Ute Freudenberg und Rammstein, laut den Friedrichs »inspirierte, poetisch wie strategisch versierte Künstler«. Strategisch, da ist es wieder, das Wort. Zur Ostfolklore gesellen sie noch Egon Krenz hinzu, dem sie dafür danken, dass es im Zuge des Mauerfalls keine Toten gab.

Dazwischen lassen sie ihren Gedanken über Politiker, politische Prozesse und politische Entwicklungen ungebremst freien Lauf. »Wir fragen uns, warum die Politik nicht adäquat auf eine sich beschleunigende Welt reagiert.« Gerade noch hatten die Friedrichs »laute, faktenarme Meinungen« kritisiert, jetzt schon äußern sie ihrerseits genau solche. Denn dass die Politik nicht entsprechend reagiert, bleibt im Text eine nicht belegte Behauptung. Für die sie dennoch bereits eine Lösung parat haben: kürzere Wahlperioden von zwei Jahren. »Denn welche Entscheidung benötigt mehr als zwei Jahre?« Wählen sollte man am besten mit Smartphones, »um der Geschwindigkeit um uns herum gerecht zu werden«. Dann geht es noch um den Mietendeckel, um den sie raunen, dass uns doch etwas auffallen solle, wenn der Regierende Bürgermeister Michael Müller diesen - »woher nochmal?« - von seinen Reisen mitbringe. Zum Thema »Heimatschutz« schlagen sie der Kanzlerin vor, ihre Richtlinienkompetenz zu nutzen, und prophezeien kryptisch: »Es ist absehbar, dass die Seminargebühr aus dem Handeln der Schlafwandler 1914 bald gezahlt sein wird.« Haben sich die Friedrichs ihr Wissen über den Ersten Weltkrieg etwa ausschließlich mit dem Buch des Historikers Christopher Clark angeeignet? Vielleicht neulich sonntags mal durchgelesen, schließlich hat man jetzt einen Verlag und muss sich politisch etwas auskennen?

Nicht alles ist per se falsch

So in etwa klingt ein Großteil des Textes, klingen die Andeutungen und Vorschläge: als habe sich da jemand zum ersten Mal mit Politik befasst und ein paar Ideen, die ihm - und ihr - dabei gekommen sind, einfach mal aufgeschrieben. Nicht alles ist per se falsch. Journalisten sollten hinterfragen - und sich auch selbst regelmäßig hinterfragen, ob sie dies auch tun. Aber vieles in der »Berliner Botschaft« liest sich doch wie eine Mixtur teils verschwörungstheoretischen Geraunes von jahrzehntelang an Politik Desinteressierten, die wie so viele andere auch jetzt plötzlich Interesse am politischen Geschehen gefunden haben - was gut ist - , aber nicht die Muße hatten, sich auch entsprechendes Wissen anzueignen. Die »strukturelle Langeweile«, falls es sie denn gegeben haben sollte, die ist schon lange vorbei; Politikwissenschaftler und Umfrageinstitute melden seit Jahren steigendes politisches Interesse. Und nun ist es scheinbar auch bei den Friedrichs angekommen.

Dass trotz des Quälens durch zwei Seiten Text am Ende niemand weiß, was Holger und Silke Friedrich wirklich wollen, lässt sich mit einer Unterhaltung auf Twitter symbolisieren. Ein nd-Redakteur schreibt (hier verkürzt): »Das Manifest liest sich so, als solle die ›Berliner Zeitung‹ ein zweiter ›Tagesspiegel‹ werden.« Ein »Tagesspiegel«-Redakteur antwortet: »Ich hatte beim Lesen eher das Gefühl, das ›neue deutschland‹ bekommt Konkurrenz.« Ein bisschen Neoliberalismus, gewürzt mit DDR-Nostalgie. Man hofft für die »Berliner Zeitung«, dass sich die Friedrichs nicht allzu sehr inhaltlich einmischen. Eine Redaktion muss unabhängig von ihren Besitzern sein. Doch dann blättert man weiter - der Text erschien in der Sonderausgabe zum 9. November - und findet auf Seite 26 ein Interview mit dem früheren Schulstaatssekretär Mark Rackles und dem Bildungsforscher Andreas Schleicher - das Silke Friedrich (mit-)geführt hat.

Immerhin sind die Friedrichs, die wohl schnell gelangweilt sind, nicht schon nach wenigen Wochen der »Berliner Zeitung« überdrüssig. Nach den Millionen, die sie möglicherweise für den Kauf ausgegeben haben, genau weiß man es nicht, könnten sie ja nun knausrig werden. Stattdessen haben sie der Zeitung ein neues Redaktionssystem und eine neue Webseite spendiert sowie einen digitalen Briefkasten für anonyme Hinweise à la »Guardian« und »New York Times« eingerichtet. Zu etwas war die strukturelle Langeweile also doch gut.

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