nd-aktuell.de / 22.11.2019 / Kommentare / Seite 10

Handeln statt feilschen

Auf der Klimakonferenz in Madrid geht es wieder nicht um einen schnelleren Ausstieg aus Kohle und Öl, fürchtet Olaf Bandt

Olaf Bandt

Wie hältst Du es mit dem Klimaschutz? Ab Anfang Dezember werden Abgesandte von knapp 200 Regierungen wieder Antworten auf diese Gretchenfrage in Madrid suchen. Konkret wird es auf der 25. Klimakonferenz darum gehen, ob alle ihre Hausaufgaben machen oder nur Mittel und Wege gesucht werden, den Klimaschutz weiter zu vertagen.

An Kreativität bei der Vertagung und der Verlagerung der Verantwortung beim Klimaschutz hat es noch nie gemangelt. Man denke nur an das mittlerweile in die Jahre gekommene Instrument des Emissionshandels in Europa. Mit ihm wurde vor 15 Jahren die Möglichkeit geschaffen, einen Teil der geplanten Emissionsreduktionen nicht selber zu erledigen, sondern sich Gutschriften von Emissionsreduktionen anderer Länder zu kaufen.

Auch vor dem Pariser Abkommen, unter dem Kyoto-Abkommen, war es den wohlhabenden und zu Emissionsreduktionszielen verpflichteten Ländern schon möglich, einen Teil der Emissionsreduktionen in Form von Gutschriften von anderen Ländern ohne Klimaschutzverpflichtungen zu erwerben. Es schien ein cleverer Schachzug, dass die Willigen den eher Unwilligen helfen sollten. Ein großes Problem dabei war: Es war schwer bis unmöglich nachweisbar, dass Klimaschutzprojekte in Afrika und Asien, die Zertifikate verkauften, tatsächlich »zusätzliche« waren. Mit anderen Worten: Niemand konnte beweisen, ob ein Staudamm statt eines Kohlekraftwerks gebaut wurde oder ob er ohnehin gebaut worden wäre - im Zuge des Zertifikatehandels nun aber bloß lukrativer war. Klimaschutzprojekte wurden interessanter für Investoren, weil man mit ihnen über den Clean Development Mechanism, das Zertifikatesystem unter Kyoto, zusätzliche Einnahmen generieren konnte. Mit dem Inkrafttreten des Pariser Abkommens sollte alles anders werden: Die Emissionen sollten nun tatsächlich sinken. Um die 1,5-Grad-Grenze nicht zu reißen, müssen sie ihren Scheitelpunkt spätestens 2020 erreicht haben. Bis Mitte des Jahrhunderts müssen sie global gleich null sein. Steigt die globale Erhitzung über 1,5 Grad, werden Teile der Erde unbewohnbar. Die Bilder vom überfluteten Venedig, den Buschbränden in Australien und den vom Borkenkäfer zerstörten Wäldern im Harz zeigen, was die durch die Klimakrise verursachten Zerstörungen für unsere Lebensgrundlagen bedeuten.

Die Reduktion der Emissionen um eine solche Menge - ihre Halbierung bis zur Mitte des Jahrhunderts oder der Rückgang der Emissionen um mehrere Prozent jährlich - ist eine nie da gewesene Herausforderung für die Menschheit. Nur wenn wir einen tief greifenden Wandel unseres Wirtschaftens, unserer Fortbewegung, unserer Stromerzeugung und -nutzung, unseres Heizens und Kühlens sowie unserer Nahrungsmittelproduktion vorziehen, können wir die todbringende Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen beenden.

Es ist ein zerstörerischer Irrglaube, dass unbegrenztes Wachstum und der damit einhergehende Raubbau an der Natur im begrenzten System Erde dauerhaft möglich sind. Ohne echte sozial-ökologische Transformation, die dabei nicht zulasten der Armen und Einkommensschwachen gehen darf, wird aus der Krise unweigerlich eine Katastrophe. Das Pariser Abkommen kann zumindest dazu beitragen, die Folgen der Klimakrise einzudämmen. Es basiert darauf, dass alle Länder, je nach historischer Verantwortung und Wohlstand, ihren Beitrag zum Einhalten der 1,5-Grad-Grenze leisten.

Das System krankt daran, dass alle Länder ihre Ziele zu niedrig gesetzt haben und selbst diese nicht erreichen. Dass es bei den anstehenden Klimaverhandlungen gar nicht darum gehen wird, um wie viel die Länder ihre Ziele erhöhen und wie sie den Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas beschleunigen, ist angesichts dessen erschreckend. Stattdessen wird in Madrid darum gerungen werden, ob es auch unter dem Pariser Abkommen einen Emissionshandel geben wird. Dieser könnte aber dazu führen, dass Länder ihre Ziele immer niedriger stecken, um so möglichst viele »überschüssige« Zertifikate an Länder zu verkaufen, die selber gar keinen Klimaschutz mehr betreiben, da sie sich ja über den Ankauf von Zertifikaten ganz »freikaufen« können. Somit würde das Pariser Abkommen ad absurdum geführt. Ein schnellerer Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas und eine sozial-ökologische Transformation sind die einzig richtigen Antworten auf die Gretchenfrage unserer Zeit.