Hängen geblieben

»OK, Boomer« - über einen heraufbeschworenen Generationenkonflikt.

  • Johannes Simon
  • Lesedauer: 5 Min.

Wer viel Zeit im Internet verbringt, wird es kennen: Das »OK, Boomer«-Meme. Zwei genervte Worte, die die junge Generation im Arsenal hat, wenn sie sich mal wieder die ignoranten, hängen gebliebenen Vorträge der Älteren anhören muss. Memes sind humorvolle Bilder, Videos oder Texte, die im Netz geteilt werden. »Boomer« meint die Babyboomer-Generation der Nachkriegszeit - also alle, die heute zwischen 50 und 70 Jahre alt sind. Und »OK« meint: Augenrollen, lasst sie reden, ich habe Wichtigeres zu tun.

Angeblich wurde das Meme zunächst auf dem Videoportal TicToc erfunden und verbreitet. Das ist eine App, mit der vor allem Teenager versuchen, sich ihre 30 Sekunden Berühmtheit zu erkämpfen, indem sie kurze Videos produzieren und posten. Ein echtes kulturelles Phänomen haben daraus aber erst die Medien gemacht. Angeführt von der »New York Times« gab es eine Flut von Kommentaren zu dem Thema. Man erkennt an dem Meme die Mechanismen der Medienökonomie im Netz, wo für wenig Geld endlose Mengen an »cultural commentary« rausgehauen werden - also seichte, lebensweltliche Kulturkritik. Das Meme wurde dann auf der ganzen Welt besprochen und geistert nun einige Wochen durch das Internet, bis die nächste Sau durch das »global village« getrieben wird.

Schlachtruf der politisch Erwachten

Schaut man sich die erfolgreichsten TicToc-Videos mit dem »OK Boomer«-Hashtag an, haben sie kaum einen politischen Inhalt, es geht eher darum, die kauzigen Angewohnheiten älterer Menschen aufs Korn zu nehmen. In der »New York Times« und anderswo wird die Sache jedoch anders beschrieben: »OK, Boomer« sei der Schlachtruf der unter 20-Jährigen, der Generation Z, die endlich politisch erwacht sei, angesichts der düsteren Aussichten, die ihnen die Generation der Boomer hinterlassen hat: Klimakrise, Neoliberalismus, US-Präsident Donald Trump - you name it.

Das Meme muss man auch als Rache verstehen. Dafür, wie ausgiebig die Älteren bislang über die Jüngeren hergezogen sind. Es war lange Zeit fast ein eigenes Genre in den US-amerikanischen Medien: das Klagelied über die verdorbene junge Generation, die selbstbezogen und verwöhnt sei, narzisstisch, verweichlicht, mit lauter identitätspolitischen Flausen im Kopf.

Die Boomer sind passiert!

Dabei waren es ja die Boomer (zumindest die weißen männlichen, die heute zum Großteil an den Schalthebeln der Macht sitzen), die es im Rückblick ziemlich leicht hatten. Sie profitierten vom fetten Nachkriegsboom, gingen noch fast umsonst zur Universität und erlebten noch sichere Jobs, von denen man eine ganze Familie ernähren konnte.

Und was ist seitdem passiert? Eine materialistische Analyse würde von Profitkrisen, Neoliberalismus und Klassenkampf sprechen. Eine etwas weniger komplexe, aber deshalb nicht unbedingt falsche Antwort lautet: Die Boomer sind passiert! Sie lassen eine Welt zurück, in der die Polarkappen schmelzen und die jüngere Generation von Studienschulden erdrückt wird und sich von einem unterbezahlten Drecksjob zum nächsten unbezahlten Praktikum hangelt.

Das ist der reale Hintergrund dieses Memes. Ein Großteil der Wut, die die Linke in den USA derzeit so stark macht, stammt von jungen, gut ausgebildeten Akademikern, die in der Postkrisenwirtschaft auf keinen grünen Zweig kamen und auf eine Art und Weise vom entfesselten Kapitalismus gebeutelt wurden, wie das in Deutschland (bislang noch) Menschen ohne Abitur vorbehalten ist. Aus dieser sozialen Generationenspaltung ergibt sich auch eine politische. Der sprichwörtliche »Boomer« ist natürlich auch der alte weiße Mann, der Vorurteile pflegt und für den die ungleich vielfältigere und tolerantere junge Generation einfach kein Verständnis mehr hat. Vor allem aber hat die Generation der Boomer die Lektionen der letzten Jahre - Wirtschaftskrise, Irakkrieg, US-Präsident Trump - nicht verstanden. Sie glauben, man müsse sich nur wieder auf die moderate Mitte einpendeln, dann werde alles wieder gut - so »wie früher«. Diese Spaltung zeigt sich etwa im Vorwahlkampf der US-Demokraten, bei dem die Jüngeren klar hinter Bernie Sanders stehen. Es gibt sie aber auch auf der Seite der Rechten, wo die nachwachsende Generation der US-Konservativen immer stärker ganz rechts am Rand wildert.

Mit Generationen Politik machen

Und da zeigt sich auch schon das Problem des Boomer-Memes: Es stimmt ja nicht wirklich, dass die hundertprozentig progressive Jugend den durch die Bank reaktionären Alten gegenübersteht. Vor allem in Deutschland bringen die Shell-Jugendstudien regelmäßig Deprimierendes zutage über den angepassten Konformismus der Jugend. Auch sind die Alten keineswegs besonders privilegiert, sondern eher besonders von Armut betroffen. Dementsprechend reaktionär ist es meistens, wenn in Deutschland mit Generationen Politik gemacht wird. Man denke an den Begriff der »Generationengerechtigkeit«, der gerne von Vorsitzenden der Jungen Union im Mund geführt wird, wenn sie fordern, dass noch mehr Rentner als bisher gezwungen sein sollen, Flaschen zu sammeln, um zu überleben. Wie Simone de Beauvoir mal bemerkte, ist es »im Interesse der Ausbeuterklasse, die Solidarität zwischen den Arbeitern und den unproduktiven Alten zu zerstören«.

Boomermäßiger Kulturkampf

Aber auch wenn man mit progressiver Absicht gegen die Alten ankämpfen will, transferiert man im Endeffekt das, was eigentlich Klassenpolitik sein sollte, auf einen Kulturkampf zwischen Jung und Alt. Die Vorstellung, bei Politik gehe es vor allem um Generationen, stammt ironischerweise aus den 60ern, als die Boomer-Generation gegen ihre Eltern rebellierte. Nicht zufällig sah sich die kulturell-emanzipatorische »Neue Linke« damals vielleicht zum letzten Mal selbstverständlich aufseiten der Arbeiterbewegung. Anschließend kassierten die Boomer dieses schöne Bündnis wieder, fortan hieß »links« für sie vor allem, modern und emanzipatorisch zu sein - die Klasse wurde gestrichen. Man muss kein Traditionalist sein, um zu erkennen, dass die heutige Krise der Linken auch darin ihren Ausgangspunkt hat - und man sich deshalb von diesem boomermäßigen, generationellen Kulturkampf eher fernhalten sollte. Womit sich der Kreis schließt: Die Boomer haben sogar die Linke ruiniert!

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal