nd-aktuell.de / 28.11.2019 / Kultur / Seite 17

Stangentanz statt Stangenware

Sexy Eventkino und Krimi-Melodram: In «Hustlers» erleichtern ein paar Stripperinnen einige Wall-Street-Macker um ihr Geld

Maximilian Schäffer

An die Arbeit, Bitch!
Brich es ab, mach es platt!
Sieh mich kommen, du hörst mich kommen.
Sag es allen in deiner Stadt!
Gib allen Bescheid! Es ist so weit!
Los, ruf die Polizei!
Los, ruf den Gouverneur an!
Ich bin der Sopran,
aber ich will euch nicht stören.
Nenn mich Gouverneur!
Ich bin die böse Bitch.
«Work Bitch» - Britney Spears,

Übersetzung: Laura Papachristos

Wallstreet-Typen sind Schweine!« Man kann das ruhig so pauschal sagen, und genauso ruhig und pauschal sagt es Jennifer Lopez’ Figur im Erfolgsfilm »Hustlers«. Ramona Vega ist der Star der Stripshow, die Lola-Lola im »Blauen Engel« der Nullerjahre. Männer umschwirren sie wie die Motten das Licht, und wenn sie verbrennen, kann sie dafür nichts. Sie muss es tun, was bleibt ihr anderes übrig, wenn sie nicht zum Mindestlohn im Einkaufszentrum Jeanshosen sortieren will, weil alleine die Mieten in New York City unbezahlbar sind? Auch Destiny (Constance Wu) sieht sich mit jenen harten Fakten konfrontiert. Sie stammt aus einer kambodschanischen Einwandererfamilie erster Generation, noch dazu mit alleinerziehender Großmutter. Höhere Bildung oder sonstige Erbschaften kann sie nicht auf der Habenseite verbuchen, dafür Charme und gutes Aussehen. Bringt man solche Qualitäten mit, verheißt einem selbstständiger Stangentanz immer noch besseren Verdienst und Selbstwert, als im Angestelltenverhältnis Stangenware im Einzelhandel zu verscherbeln oder im Altfett-Bistro für mageres Trinkgeld kaffeeähnliche Flüssigkeiten nachzuschütten. Die Frage nach Anstand stellt sich nicht in einer Gesellschaft, in der die Unanständigsten alles haben, so schlussfolgern die Sexarbeiterinnen und beschließen zu handeln.

Das Drehbuch der Regisseurin Lorene Scafaria basiert auf einer Reportage, die in der Silvesterausgabe des Magazins »New York« aus dem Jahr 2015 nachzulesen ist. Die Journalistin Jessica Pressler erzählt dort die Geschichte von Roselyn Keo und Samantha Barbash, den realen Vorbildern dieses Hollywoodfilms. Die Interviewsituation mit Keo (alias Destiny) ist auch dramaturgischer Kniff im Film »Hustlers«, der den Ausführungen der Betroffenen chronologisch folgt. Zeitgeschichtlicher Dreh- und Angelpunkt ist hierbei das Jahr 2008: Stunde Null der US-amerikanischen Immobilienblase und der daraufhin folgenden Weltwirtschaftskrise. Gleichermaßen verschiebt sich zu diesem Zeitpunkt die Tätigkeit der Stripperinnen vom Amoralischen hin zum Kriminellen. Vom einen Tag auf den anderen sind die Stripclubs nämlich leer, und den werktätigen Damen wird schlagartig bewusst, dass die Lukrativität ihres Business unmittelbar mit dem Erfolg des perversen Systems zu tun hat, das sie zur Prostitution überhaupt erst veranlasste.

Hier ändert sich auch der Tonus des Films, vom sexy Eventkino mit Pole-Dancing-Einlagen und Booty-Shaking bei Charthits des Milenniums von J. Lo und Co. hin zum Kriminalfilm mit melodramatischen Aspekten. Anstatt die superreichen Finanzverbrecher nämlich selbst zu unterhalten und ihnen auf diesem Weg Geld aus der Tasche zu ziehen, beschließt man, die »Schweine« nur noch zum Melken an den Trog zu führen. In Kooperation mit den einschlägigen Spaßlokalen hat man Prozentanteile am Umsatz verhandelt, den man zur Not auch mit chemischer Gewalt in die Höhe treibt. Eine Mischung aus MDMA und Ketamin sorgt dafür, dass sich die Freier im Halbbewusstsein bis zu sechsstellige Beträge von der Kreditkarte abbuchen lassen. Die Geschäfte der Frauen florieren, die Gewissensbisse auch. Während sich für Ramona die Frage, ob man Verbrechern mit Verbrechen begegnen kann, nicht stellt, zeigt Destiny allmählich Mitleid mit den Einzelschicksalen der geprellten Männer.

Dass diese Frage nicht zum bleischweren Dreh- und Angelpunkt des Films wird, überrascht im Kontext des Mainstream-Filmmilieus. Regisseurin Scafaria und Produzentin Lopez stehen recht konsequent an der Seite ihrer Protagonistinnen und liefern so ein Werk, das eher feministisch als gefühlsduselig ist. Dass Männern hier pauschal nicht viel Menschlichkeit zugesprochen wird, muss man als solcher aushalten. Man kann sich damit trösten, dass an dieser Stelle die mächtigsten, skrupellosesten und somit widerwärtigsten ihrer Chromosomenkonstellationsgruppe zum gleichermaßen empathielosen Vieh degradiert werden.

»American culture is a little fucked up«, so resümiert Roselyn Keo trocken, als sie von den paradoxen Verlockungen der Wohlstandsgesellschaft spricht und davon, dass diese letztlich dieselben Symptome wie ihre Opfer zeige: Den problematischen Beruf galt es ständig zu kompensieren - zwar nicht mit Sex und Frauen, dafür aber mit Autos, Reisen und Chinchillapelzmänteln.

Nach 110 Minuten fetzigem Popkino schlussfolgert man:

1. Ungerechtigkeit ist keine alte Leier, sondern eine nicht enden wollende Tragödie.

2. Der amerikanische Traum beinhaltet nicht mehr die Chancengleichheit aller Ambitionierten, sondern lediglich die Ambitionsgleichheit aller Chancenlosen.

3. Der Film »Hustlers« ist, in all seiner universalverträglichen Bunt- und Vergnüglichkeit, um ein Vielfaches intelligenter, aufwühlender und allem voran politisch deutlich radikaler als beispielsweise Todd Phillips’ müde Sozialdemokratiepredigt »Joker«.

»Hustlers«, USA 2019. Regie/Buch: Lorene Scafaria; Darstellerinnen: Jennifer Lopez, Constance Wu, Keke Palmer, Julia Stiles. 110 Min.