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Viel zu wenige Lehrstellen im Nordosten

Brandenburgs Ausbildungsbilanz fällt insgesamt ganz passabel aus, ist aber noch nicht zufriedenstellend

In den Werkshallen der Diehl Metal Applications GmbH in Teltow werden Kontakte für Leiterplatten gestanzt und Teile für Sensoren von Airbags purzeln vollautomatisch in die bereitgestellten Verpackungen. An den Maschinen stehen fast ausschließlich Männer. Doch das könnte sich in Zukunft ändern. Am Standort werden gegenwärtig sechs Werkzeugmechaniker ausgebildet. Vier der Lehrlinge sind weiblich. »Wir haben festgestellt: Mädchen können es genauso gut wie Jungs«, erzählt Ausbildungsbetreuer Roland Friedrich. Beim hohen Grad der Automatisierung komme es anders als früher auf die körperlichen Kräfte nicht mehr an.

Julia Augat ist im ersten Lehrjahr. Zunächst erwirbt die 16-Jährige die Grundfertigkeiten Feilen, Schleifen und Sägen. Später wird sie lernen, Werkzeuge für Stanzen anzufertigen. Stellt sie sich dabei gut an und besteht in dreieinhalb Jahren ihre Prüfungen, hat sie sehr gute Chancen, vom Betrieb übernommen zu werden. »Wir wollen für uns ausbilden, nicht für andere«, heißt es.

217 Beschäftigte gibt es am Standort an der Ruhlsdorfer Straße. Sieben Stellen sind im Augenblick frei. Wenn ein Jugendlicher eine Lehre nach ein paar Wochen schmeißt, weil er erkennt, dass Werkzeugmechaniker nichts für ihn ist, dann wäre das ärgerlich für die GmbH. Darum wird angeboten, vorher mal reinzuschnuppern. Julia Augat hat ein Praktikum gemacht, bevor sie den Lehrvertrag unterschrieb. Im ersten Lehrjahr erhält sie 1005 Euro brutto im Monat.

Viele andere Lehrlinge in Brandenburg sind bisher mit weniger als der Hälfte abgespeist worden und lagen damit unterhalb der neuen gesetzlichen Untergrenze. Doch die Diehl Metal GmbH zahlt Tarif. Die Maschinen sind sehr teuer. 1,2 Millionen bis 1,5 Millionen Euro koste eine Anlage, erläutert Werksleiter Stefan Woldt. »Aber nur durch den hohen Automatisierungsgrad können wir mithalten.« Durch die Hochtechnologie spielen dann selbst hohe Löhne keine so große Rolle in der Bilanz.

Von Oktober 2018 bis Ende September 2019 meldeten sich in Brandenburg 14 197 Jugendliche bei der Berufsberatung der Arbeitsagentur. Das waren 472 Bewerber weniger als im Ausbildungsjahr zuvor. Die Zahl der gemeldeten freien Lehrstellen lag bei fast unverändert 13 754. Ende September hatten 1215 Bewerber noch keine Lehrstelle gefunden. Auf der anderen Seite waren noch 1789 Ausbildungsplätze frei. Diese Zahlen seien erst einmal positiv, sagt Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD). In »Euphorie« breche er deswegen aber nicht aus. Denn in den kommenden zehn Jahren werden rund 200 000 Brandenburger in Rente gehen. Angesichts dessen müsste noch viel mehr ausgebildet werden.

DGB-Landesbezirkschef Christian Hoßbach meint: »Jeder Jugendliche, der keinen Ausbildungsplatz findet, ist einer zu viel.« Man dürfe nicht drum herum reden. Es gebe zu wenige Betriebe, die ausbilden.

Die Lage ist in verschiedenen Gegenden Brandenburgs sehr unterschiedlich, erläutert am Mittwoch vor Ort bei Diehl in Teltow Bernd Becking. In Potsdam gebe es zu wenige Bewerber für viele freie Lehrstellen, erläutert der Regionaldirektionschef der Arbeitsagentur. Im Raum Neuruppin und im Raum Cottbus sei die Zahl der Bewerber und der Lehrstellen »numerisch ausgeglichen«. Das bedeute allerdings, dass es dort zu wenig Ausbildungsplätze gibt, denn man benötige erfahrungsgemäß mehr Lehrstellen, als es Bewerber gibt, »damit es passt«. Angespannt sei die Situation in der Gegend von Frankfurt (Oder) und Eberswalde. Dort gebe es »viel zu wenige Ausbildungsplätze für die jungen Menschen«.

Darum gilt Nordostbrandenburg bei der Gewerkschaft als »Sorgenkind«. In dieser Gegend war Linksfraktionschef Sebastian Walter DGB-Regionsgeschäftsführer, bevor der am 1. September 2019 in den Landtag einzog. Walter sieht das Problem darin, dass in Brandenburg zum Beispiel nur jeder zehnte Handwerksbetrieb ausbildet, ihm dann aber oft die Fachkräfte von der Konkurrenz weggeschnappt werden, so dass der Betrieb die Mühe und die Kosten hat, aber nicht den Nutzen. Die LINKE prüfe, ob ein Ausbildungsfonds eine Lösung wäre, sagt Walter. Einzahlen müssten Betriebe, die nicht ausbilden. Mit dem Geld könnten Ausbildungsbetriebe gefördert werden.

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