Die nächste Krise rückt näher

In Berlin steigt die Arbeitslosenzahl noch einmal leicht, in Brandenburg gibt es trotz eines Rekordtiefs Probleme

72 074 Brandenburger waren im November arbeitslos gemeldet. Seit 1991 war diese Zahl niemals geringer als jetzt. Die Arbeitslosenquote beträgt nur noch 5,4 Prozent und liegt damit 0,4 Prozentpunkte unter dem Vorjahreswert.

In Berlin sieht es anders aus. Hier waren im November 148 775 Männer und Frauen ohne Job registriert, wie die Arbeitsagentur meldet. »Zwei unterschiedliche Tendenzen bestimmen die Entwicklung«, erläutert Regionaldirektionschef Bernd Becking. »Zum einen wächst die Beschäftigung in hohem Tempo weiter. In Berlin entstehen derzeit an jedem Tag mehr als 150 neue Arbeitsplätze.« Zum anderen steige trotzdem die Zahl der Arbeitslosen. Mehr erwerbstätige Berliner verlieren ihre Stelle und gleichzeitig finden weniger Erwerbslose einen neuen Job als bisher.

»Es zeigt sich«, sagt Becking, »dass sich Anforderungen und Profile von Arbeitsplätzen immer schneller ändern und einmal im Berufsleben erworbene Kompetenzen ohne Update häufig an anderen Arbeitsplätzen nicht mehr genügen.« Die Regionaldirektion steuere mit Qualifizierung und beruflicher Weiterbildung dagegen. »Allein im November haben in Berlin rund 2100 Personen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, eine solche Maßnahme begonnen. Seit Jahresbeginn waren es 26 000, über drei Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum«, erklärt Becking.

Im zweiten Monat in Folge ist die Arbeitslosenzahl in der Hauptstadt leicht gestiegen. In einigen Bereichen »hat offenbar der Herbstblues Einzug gehalten«, kommentiert dies Christian Amsinck, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg (UVB). Herbstblues, so wird eine leichte Depression genannt, unter der manche Patienten in den Herbst- und Wintermonaten leiden, wenn es ihnen an Wärme und Sonnenlicht mangelt. In Brandenburg scheint dagegen kein Anlass zur Traurigkeit zu bestehen. Fachkräfte sind bereits knapp. Bei einer Arbeitslosenquote von zwei bis vier Prozent sprechen Experten bereits von Vollbeschäftigung. Diesem aus Sicht der Arbeiter und Angestellten fast idealen Zustand ist Brandenburg nun ziemlich nahe. »Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch in Brandenburg Anzeichen für eine Abkühlung gibt«, warnt Amsinck. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Bundesland habe zwar den höchsten Wert seit 1998 erreicht, wachse jedoch nur noch leicht. »Zudem gibt es Anzeichen, dass bei den Unternehmen die Kurzarbeit spürbar zunimmt«, sagt Amsinck. Nach Einschätzung von Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) zeigt sich der Arbeitsmarkt jedoch »robust«. Steinbach macht sich Gedanken, wie die Firmen Fachkräfte anlocken können. Attraktive Arbeitsbedingungen seien dafür von zentraler Bedeutung, sagt er. »Dazu zählen neben einer fairen Entlohnung ein gutes Betriebsklima, flexible Arbeitszeitmodelle, die sich insbesondere an den Erfordernissen berufstätiger Frauen mit Kindern ausrichten, sowie Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten.«

Zunächst einmal klingen die Zahlen gut, bestätigt Brandenburgs Linksfraktionschef Sebastian Walter. Doch er mahnt, sich an dem Erfolg nicht zu berauschen. Von den 17 537 Brandenburgern, die im November der Arbeitslosigkeit entkamen, fanden tatsächlich nur 5210 einen Job. 37,6 Prozent der Abgänge sind einfach nicht mehr erwerbstätig - in der Regel, weil sie nun Rentner sind. Und wer eine Arbeit gefunden hat, kann möglicherweise von seinem Lohn nicht leben. Der Niedriglohnsektor hat im Bundesland Ausmaße angenommen. »Einen Job zu bekommen, heißt in Brandenburg lange nicht, der Armut zu entkommen«, weiß Walter. Man könne sich die Statistiken schönreden, löse damit aber nicht die Probleme. Walter fordert, den Vergabemindestlohn nicht erst in einem Jahr, sondern schneller anzuheben.

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