Vor zehn Jahren ist heute

Ein »Green New Deal« für Europa könnte vieles erreichen, nur nicht das Klima schützen, meint Tadzio Müller

  • Tadzio Müller
  • Lesedauer: 4 Min.

Neulich in Brüssel. Da hat Ursula von der Leyen (CDU) vollmundig versprochen, ganz schnell und ganz viel das Klima zu schützen. Bis 2050 soll die EU »klimaneutral« werden. Das Tolle daran: Dabei soll auch noch ganz schnell ganz viel Beschäftigung, Wachstum und globale Wettbewerbsfähigkeit geschaffen werden.

So gut wie der Inhalt klingt auch der Name des Projekts: »Green Deal« nannte von der Leyen die Strategie, und knüpft damit (leicht verwässert) an einen Diskurs an, der von einigen britischen ökolinken Intellektuellen formuliert wurde.

2008 trafen drei große Krisen aufeinander. Erstens die Wirtschaftskrise, die das Ende des Hochneoliberalismus markierte. Zweitens eine Demokratiekrise, Resultat einer jahrzehntelangen Aushöhlung demokratischer Prozesse. Drittens die sich immer mehr verschärfende Klimakrise, die seit 2005 mit Macht auf die politische Agenda drängte. In dieser Krisenkonjunktur versuchte die »Green New Deal Group« folgende Frage zu beantworten: Wie sähe es aus, wenn es einmal nicht die Neoliberalen wären, die an einer Krise gewinnen, sondern die Linken?

Hierfür blickte die Gruppe in die Geschichte zurück, und zwar zur letzten ganz großen Krise des Kapitalismus, der »großen Depression«, eine der schwersten Wirtschaftskrisen, die sich 1929 aus den USA über die ganze Welt ausbreitete. Auf die Krise folgte das »Goldene Zeitalter« des Kapitalismus, das Zeitalter von Massenproduktion und -konsum, und des keynesianischen Wohlfahrtsstaates. Was ermöglichte den Übergang von tiefster Krise zu höchstem Boom?

Die kurze Antwort: Der US-amerikanische »New Deal«. Dieser funktionierte im Kern so: Es gab mehr Produktion bei gleichzeitiger starker Umverteilung. Dies schuf Massenwohlstand und politische Stabilität - und trotzdem mehr Wachstum, weil die durch die Umverteilung niedrigeren Profitraten das Kapital zu technologischem Fortschritt anstachelten. Der Wachstumsschub ermöglichte eine Phase des Kapitalismus, in der progressive Kräfte überall auf der Welt in der Lage waren, erhebliche Geländegewinne zu erzielen.

Diese Erfahrung wollte die »Green New Deal Group« in der Krise 2008 kopieren. Und ähnlich soll es heute im Sinne nach von der Leyen gehen. Erträumt wurde und wird ein Wachstumsschub, der alle drei großen Krisen auf einen Schlag lösen soll. Der Wachstumsschub soll durch die massenhafte Produktion vorgeblich grüner Technologien angetrieben werden. Konkret: Erneuerbare Energien, effizientere Maschinen und natürlich Elektroautos.

Kann diese Rechnung aufgehen? Die ökonomische Krise könnte durch die vielen »grünen« Investitionen durchaus gelöst werden, was dann viele neue gute Jobs schaffen würde. Dies wiederum könnte dazu beitragen, die Demokratiekrise zu lösen, denn Wachstum schafft - siehe »New Deal« - Umverteilungsmöglichkeiten, und Umverteilung stabilisiert die Gesellschaft.

Aber die Klimakrise? Da gibt es leider keinen Grund zu hoffen, dass ein »Green (New) Deal« uns retten kann. Alle Daten deuten darauf hin, dass eine ausreichende Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch nicht möglich ist. Erklärbar ist das durch den »Rebound-Effekt«, der dazu führt, dass Einsparungen an der einen Stelle Mehrausgaben an anderer Stelle ermöglichen. Deshalb brauchen wir eine Verringerung der Produktion. Das belegt auch die Empirie: Bisher haben nur Phasen, in denen die Weltwirtschaft schrumpfte, den Treibhausgasausstoß absolut sinken lassen.

Vielleicht wäre ein »Green New Deal« vor zehn Jahren noch eine adäquate Antwort auf die Klimakrise gewesen. Vielleicht wäre damals diese Art von »win-win-win«-Situation als Antwort auf die Frage nach der besten gleichzeitigen Bearbeitung aller Krisen noch vernünftig gewesen.

In den letzten Jahren hat sich aber eines ganz besonders verändert: Das Klima. Auf dem COP15-Klimagipfel in Kopenhagen wurden die letzten zehn Jahre als die bezeichnet, in denen wir noch Zeit gehabt hätten, einen katastrophalen Klimawandel zu verhindern. Diese Jahre sind nun vorbei.

Für echten Klimaschutz muss die globale Gesamtwirtschaft schrumpfen. In der Klimakrise ist Kapitalismuskritik auch und notwendigerweise Wachstumskritik. Der »Green (New) Deal« als Wachstumsprogramm könnte möglicherweise eine ganze Reihe wichtiger Politikziele erreichen. Glauben Sie nur nicht, dass er auch das Klima schützen wird.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal