• Politik
  • Medikamentenpreise in den USA

Zaghaftes Preisdiktat

Progressive und wirtschaftsfreundliche US-Demokraten kämpfen darum wie weitgehend ein Gesetz zur Reduzierung von Medikamentenpreisen sein wird

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 6 Min.

Eigentlich wollten die US-Demokraten »HR3« schon längst verabschiedet haben, doch seit Monaten verzögert ein innerparteiliches Tauziehen zwischen Parteilinken und Moderaten das Projekt. Mit dem Gesetz sollen die in den letzten Jahren stark gestiegenen Medikamentenpreise in den USA - für viele Menschen in den Vereinigten Staaten eine Überlebensfrage - gesenkt werden. Künftig soll das US-Gesundheitsministerium mit den Herstellern festgelegte Preise aushandeln, die sich an den durchschnittlichen Medikamentenpreisen in den anderen G7-Ländern orientieren sollen.

Nach derzeitigem Stand soll der Preis der 25 meistgenutzten Medikamente, maximal jedoch bis zu 250 Arzneimittel, reguliert werden. Damit soll sicher gestellt werden, dass sich Durchschnittsverdiener seine Medikamente auch leisten kann. Unternehmen, die sich nicht an die Preise halten, werden in Zukunft mit einer Extra-Steuer von 95 Prozent auf ihre Brutto-Einnahmen besteuert.

Exorbitante Medikamentenpreise sind eins der wichtigsten Themen im Lande. Zum ersten Mal seit Jahren sanken die Preise für Medikamente im vergangen Jahr leicht, um ein Prozent. Doch in den zwei Jahrzehnten davor waren sie stark gestiegen. Zu wenig Wettbewerb und kaum vorhandene Transparenz haben dazu geführt, dass die Ausgaben der US-Bürger für verschreibungspflichtige Medikamente seit Beginn der 1990er Jahre von jährlich 50 Milliarden auf insgesamt rund 350 Milliarden Dollar gestiegen sind. Angaben der »Amerikanischen Gesellschaft der Versicherungsstatistiker« Durchschnittlich gibt jeder US-Amerikaner durchschnittlich 1000 Dollar pro Jahr für seine Medikamente aus. Vor allem die Preise für das Diabetes-Medikament Insulin sind stark gestiegen. Der Preis hat sich binnen eines Jahrzehnts etwa verdreifacht. Während Diabetiker in den USA für ein Glasfläschen des lebensrettenden Medikament bis zu 300 Dollar ausgeben, sind es in Deutschland weniger als 10 Euro – weil hierzulande der Spitzenverband der Krankenkassen die Preise von Medikamenten mit Pharmafirmen verhandelt.

In den USA gibt es ein solches System nicht. Die Industrie kann verlangen, was sie will – und tut es. Das sorgt für viel Leid. Drei von zehn Amerikanern haben laut einer Umfrage der Gesundheitsexperten der Kaiser Foundation schon einmal aus Kostengründen ein Medikament rationiert. Immer wieder gehen Geschichten von jungen Amerikanern durch die Presse, die sterben, weil sie ihr Insulin rationieren oder gar nicht nehmen, weil sie es sich nicht leisten können.

Das sorgt für viel Wut: Neun von zehn Amerikanern wollen das die Politik der Gier der Pharmafirmen endlich ein Ende setzt. Die sonst relativ marktgläubigen Amerikaner – inklusive der Wähler der Republikaner - unterstützen dafür auch relativ radikale Maßnahmen, wie ein staatliches Preisdiktat. Medikamentenpreise und Gesundheitskosten sind die wichtigsten Themen für die Wähler, das zeigen Umfragen immer wieder.

Deswegen versprach auch US-Präsident Donald Trump bereits 2016 im Wahlkampf eine Senkung der Medikamentenpreise. Das Weiße Haus legte sogar ein Konzept dazu vor. Passiert ist trotzdem nichts. Auch die US-Demokraten machten vor den Zwischenwahlen 2018 Medikamentenpreise zu einem zentralen Thema gemacht. Die Partei will derzeit zeigen, dass sie sich nicht nur mit der Amtsenthebung von Trump beschäftigt ist.

Der Grund für die Verzögerung von »HR3«: Ein monatelanges Tauziehen zwischen der Parteilinken um den Congressional Progressive Caucus (CPC) mit seinen 98 Mitgliedern und den wirtschaftsfreundlichen Moderaten und der Parteiführung um Repräsentantenhaussprecherin Nancy Pelosi. Die Parteilinke, die sich im Sommer beim Streit um die Internierung von Migrantenkindern bei einem Gesetz zur Finanzierung des US-Grenzschutzes keine Verbesserungen für die Lager, in denen Asylsuchende inhaftiert werden durchsetzen konnte, tritt dieses Mal härter auf, will mehr erreichen.

Sie fordern die Zahl der Medikamente mit staatliche Preisregulierung zu erhöhen. Außerdem sollen die staatlich festgesetzten Medikamentenpreise nicht nur für Menschen mit privater Krankenversicherung und die der staatlichen Senioren-Krankenversicherung »Medicare«, sondern auch für Unversicherte gelten. Außerdem wollen die CPC-Mitglieder das »Medicare« künftig die Preise für alle Medikamente frei verhandeln kann – das ist den Administratoren von »Medicare« seit 2003 verboten. Dabei könnte der mit Abstand größte Versicherer bei Verhandlungen viel Gewicht in die Wagschale werfen. Auch die beiden Präsidentschaftskandidaten Elizabeth Warren und Bernie Sanders äußerten auf Twitter Unterstützung dafür und setzen so Pelosi unter Druck.

Die wiederum will möglicherweise bei Wahlen verwundbare moderate Demokraten-Abgeordnete schützen. 15 von ihnen werden seit Wochen mit einer Online-Anzeigenkampagne von Pharma-Lobbyisten unter Druck gesetzt gegen »HR3« zu stimmen. Sollten sie nicht wiedergewählt werden, verlören die Demokraten ihre Mehrheit im US-Repräsentantenhaus. Außerdem hatte die im Denken parteiübergreifender Zusammenarbeit verhaftete Pelosi gehofft die Unterstützung von Republikanern und US-Präsident Trump zu erhalten, wenn sie eine möglichst »harmlose« Variante des Gesetzes einbringt.

Druck auf die Parteiführung macht auch der Ko-Vorsitzende der Parteilinken-Vereinigung Marc Pocan. Er schwört seit letzter Woche hinter den Kulissen die Mitglieder des CPC darauf ein gegen das Gesetz zu stimmen, sollte Pelosi den Änderungswünschen der Parteilinken nicht nachkommen. »Wir haben die Parteiführung darauf hingewiesen, das es passieren könnte, dass einige unserer Mitglieder nicht zustimmen werden«, erklärte Pocan.

Es war eine versteckte Drohung, ein offizielles Statement gegen das Projekt abzugeben, soweit wolle man nicht gehen »noch nicht«, erklärte Pocan, der in Last-Minute-Gesprächen vor der für diese Woche angesetzten Abstimmung noch Änderungen im Sinne der Parteilinken erreichen will. Wenn nur ein Teil der CPC-Mitglieder gegen das Gesetzesprojekt stimmt hätte es keine Mehrheit. Eine Möglichkeit für Verschärfungen beim Gesetz könnten Änderungsanträge sein, die an das Gesetz angehängt werden. Die CPC-Mitglieder haben mehrere solcher Anträge eingebracht.

Sollte das Gesetz verabschiedet werden – mit oder ohne Verbesserungen – wird es im US-Senat und am US-Präsidenten scheitern. Das kündigten Trump und Republikaner-Führer Mitch McConnell bereits letzte Woche an. Parteilinke argumentieren seit Monaten, dass die Hoffnung auf Zusammenarbeit mit Republikanern unbegründet sei, deswegen man auch eine schärfere Variante des Gesetzes beschließen könne. So oder so: Die Demokraten könnten nach Verabschiedung des Gesetzes nächstes Jahr mit einem weiteren beschlossenen Gesetz das konkrete Verbesserung der Lebensverhältnisse bedeuten würde in die Senats- und Präsidentschaftswahlen ziehen.

Das Gesetz wäre ein Wahlgeschenk der Demokraten an die Amerikaner, besonders für die Senioren. Laut Schätzungen des Congressional Budget Office wird das Gesetz bei der staatlichen Krankenversicherung für ältere Amerikaner über 65 Jahren Einsparungen in Höhe von 345 Milliarden über einen Zeitraum von zehn Jahren sorgen. Die sollen laut HR3 dafür genutzt werden das die Medicare-Versicherung in Zukunft auch die Kosten für Zahnarzt- und Augenarztbesuche sowie die für Hörgeräte übernimmt und die Selbstbeteiligung bei Medikamenten für Senioren bei maximal 2000 Dollar pro Jahr liegen soll.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal