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Seine Ehre sei Reue!

Arbeitsgericht verwirft die wegen Tattoos der Naziszene erfolgte Kündigung eines Lehrers

2016 fing Clemens K. als Quereinsteiger in der Albert-Schweitzer-Oberschule von Hennigsdorf (Oberhavel) an. Er ist dort nie negativ mit politischen Äußerungen aufgefallen und kam gut mit den vielen Schülern aus Migrantenfamilien klar. Doch dann zog er in der Sommerhitze des Jahres 2018 sein T-Shirt aus, um mit Schülern Volleyball zu spielen. Dabei wurden die Tätowierungen auf seinem Oberkörper sichtbar: eine Wolfsangel, mit der sich die Hitlerjugend schmückte, eine schwarze Sonne, wie sie in der Neonaziszene beliebt ist, und der Spruch »Meine Ehre heißt Treue«, der auf den Koppelschlössern der SS-Uniformen stand.

Das Land Brandenburg kündigte dem heute 36-Jährigen fristlos, weil er diese Tattoos gezeigt hatte und berechtigte Zweifel an seiner Verfassungstreue und damit an seiner Eignung als Lehrkraft aufkamen. Der Personalrat stimmte der Kündigung zu. Doch Clemens K. klagte gegen seinen Rauswurf. Er bekam erst vor dem Arbeitsgericht Neuruppin Recht und am Mittwoch nun auch in der Berufungsverhandlung vor dem Landesarbeitsgericht in Berlin. Entscheidend dafür ist ein Formfehler. Denn nach Ansicht von Richter Achim Klueß hat das Land dem Personalrat zwar alles gesagt, aber als Grund für die Kündigung klar nur das Zeigen der Tätowierungen benannt. Da hätte eine Abmahnung und die Anweisung ausgereicht, sich künftig nicht mehr mit freiem Oberkörper zu zeigen. Das Land hätte dem Personalrat deutlich sagen müssen, dass es den Mann mit einer Gesinnung, wie sie aus den Tätowierungen spricht, für unzumutbar hält und deshalb auch entlassen will.

Rechtsanwalt Thomas Jürgens hatte im Auftrag des Bildungsministeriums am Mittwoch noch einen Vergleich angeboten. Demnach wäre Clemens K. erst zum 31. März 2020 gekündigt worden. Bis dahin wäre er vom Dienst freigestellt gewesen, hätte trotzdem seinen Lohn erhalten und überdies drei Bruttomonatslöhne Abfindung. Den Wunsch, ihn als Quereinsteiger noch weitermachen zu lassen, bis er vollgültiger Lehrer ist und sich in anderen Bundesländern oder bei Privatschulen bewerben könnte, wollte das Ministerium unter keinen Umständen erfüllen. Damit hätte sich der 36-Jährige abgefunden, wollte dann aber ein Jahresgehalt Abfindung. Das allerdings nannte Richter Klueß unangemessen und auch das Land Brandenburg ließ nicht mit sich verhandeln. Kurzum: Aus dem Vergleich wurde nichts. Stattdessen fiel das Urteil, dass sich erst einmal gut für Clemens K. anhört.

Doch er darf auch jetzt nicht zurück an seinen Arbeitsplatz. Das Land hat längst eine zweite Kündigung nachgeschoben, diesmal eventuell formal sauber. Darüber muss erneut das Arbeitsgericht Neuruppin befinden. Der Beschuldigte beteuert, er sei niemals Neonazi gewesen und nie Mitglied irgendeiner Partei. Den Spruch »Meine Ehre heißt Treue« habe er vor mehr als zehn Jahren in einem Tattoo-Katalog gesehen und habe ihn »cool« gefunden. Er habe nicht geahnt, dass es ein SS-Spruch sei. Kurz unterhalb der Gürtellinie stünden auch noch die Worte »Liebe« und »Familie«, womit es nicht die originale Formulierung der SS sei.

»Jeder hat das Recht, sich in seiner Jugend auch mal zu irren«, argumentierte Rechtsanwalt Eckart Johlige, der Clemens K. vor den Arbeitsgerichten vertritt. Johlige ist im Havelland CDU-Kreistagsabgeordneter und war früher mit der Landtagsabgeordneten Andrea Johlige (LINKE) verheiratet.

Juristisch nicht allein entscheidend, aber moralisch wesentlich ist die Frage, ob man glaubt, was Clemens K. erzählt. Gegen seine Version spricht nach Ansicht von Rechtsanwalt Jürgens ein Blick in den Lebenslauf. Demnach habe sich der 36-Jährige die Tattoos just in der Zeit stechen lassen, in der er für eine Wachschutzfirma in Nauen jobbte, die als »reiner Naziladen« bekannt sei.

Glauben schenken könnte man Clemens K. leichter, wenn er die extrem fragwürdigen Tattoos inzwischen hätte entfernen oder ändern lassen. Weil das schmerzhaft wäre und Narben zurückbleiben würden, habe sein Mandant davon Abstand genommen, sagte Anwalt Johlige. Nun denke Clemens K. aber darüber nach.

So aufwändig wäre es allerdings gar nicht, findet Richter Klueß. Er schlug eine kleine, aber entscheidende Änderung vor: »Meine Ehre heißt Reue.« Und Reue wäre angebracht, wenn man sich so einen »Driss« tätowieren lasse, schimpfte Klueß. Driss ist ein rheinischer Ausdruck für Dreck.

Es laufen auch noch andere Verfahren zu dem Vorgang. So geht Clemens K. juristisch gegen den Kollegen vor, der ihn 2018 beim Volleyball fotografierte und die Sache ins Rollen brachte.

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