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Nur eine Schikane mehr

Die VVN-BdA und ihre Mitglieder sind - wie andere Linke - seit Jahrzehnten staatlicher Diskriminierung ausgesetzt

Die Entscheidung des Berliner Finanzamts ist nur die jüngste Volte in der langen Geschichte der Diskriminierung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten (VVN-BdA). Die am 4. November erfolgte Aberkennung der Gemeinnützigkeit für die Organisation basiert auf einer Bestimmung der Abgabenordnung. Danach reicht es, wenn ein Landesamt des Verfassungsschutzes einen Verein als »extremistisch« einstuft, um ihm den mit finanziellen Vorteilen verbundenen Status zu entziehen. Das tut derzeit nur noch der bayerische Verfassungsschutz. Er bezeichnet die VVN-BdA allerdings »nur« als »linksextremistisch beeinflusst«.

Dass ausgerechnet im rot-rot-grün regierten Berlin die zuständige Behörde eine solche Entscheidung trifft, überrascht. Von hier war ein Rückfall in Verhaltensmuster des Kalten Krieges eigentlich am wenigsten zu erwarten. Zwar hat das Amt den Vollzug von Steuernachforderungen in fünfstelliger Höhe wegen »unbilliger Härte« inzwischen ausgesetzt. Doch die Aberkennung der Gemeinnützigkeit bleibt bestehen.

Doch so empörend der Vorgang ist: Der VVN-BdA hat die daraus resultierende Aufmerksamkeit beispiellosen Zulauf beschert: »Weit mehr als 1500 Menschen haben in den letzten Wochen aus Solidarität ihren Beitritt erklärt«, sagt Markus Tervooren, Geschäftsführer des Berliner Landesverbands, dem »nd«.

Tatsächlich hat die VVN-BdA, haben die in ihr Engagierten schon viel schwerere Zeiten durchgemacht. In den 1970er und 1980er Jahren waren Tausende von ihnen von sogenannten Regelanfragen beim Verfassungsschutz (VS) betroffen. Der sogenannte Radikalenerlass, beschlossen im Januar 1972 von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) und den Ministerpräsidenten der Länder, schrieb das Prozedere für Anwärter auf Laufbahnen im öffentlichen Dienst vor. Teilte der Inlandsgeheimdienst mit, es gebe Hinweise auf mangelnde »Verfassungstreue« einer Person, folgte daraus vielfach ein sich über Jahre hinziehendes Verfahren, das mit hochnotpeinlichen Befragungen begann und nicht selten in ein Berufsverbot mündete. Insgesamt gab es nach Angaben der Betroffenenverbände bis 1990 rund 3,5 Millionen Regelanfragen. 35 000 Menschen wurden als verdächtig eingestuft. Gegen 10 000 von ihnen wurden Berufsverbotsverfahren eingeleitet, die in 2500 Fällen zu Nichteinstellung oder Entlassung führten.

»Verfassungswidriger Kampfbegriff«
Die Kategorie »extremistisch« hat in der deutschen Rechtsordnung nichts zu suchen, findet der Staatsrechtler Martin Kutscha

Die Rote Hilfe erinnerte Ende November zudem daran, dass die 1947 von Verfolgten des Hitlerregimes gegründete VVN von Anfang an staatlicher Repression ausgesetzt war. So sei 1951 ihr Bundesbüro geschlossen worden. Schon 1950 hatte die Bundesregierung unter Konrad Adenauer (CDU) festgelegt, dass die Mitgliedschaft in der Vereinigung mit einer Anstellung im öffentlichen Dienst unvereinbar sei. Ein Verbotsverfahren gegen die VVN scheiterte 1962 (um den Zusatz »BdA« wurde ihr Name 1972 erweitert) nur, weil die Nazivergangenheit der maßgeblich damit betrauten Juristen publik wurde.

Manche Antifaschisten werden bis heute vom Verfassungsschutz beobachtet. Der prominenteste Fall dürfte der von Silvia Gingold sein. Die Lehrerin, Tochter der Widerstandskämpfer Ettie und Peter Gingold, war als Kommunistin und VVN-BdA-Mitglied Berufsverbotsopfer. Und bis heute wehrt sie sich gegen die Bespitzelung durch den VS.

Aktuell soll die VVN-BdA belegen, dass sie nicht extremistisch ist. Der Berliner Finanzsenator Matthias Kollatz betonte nach dem Gemeinnützigkeitsentzug, das Finanzamt habe aufgrund der gesetzlichen Regelungen »keinen Spielraum« gehabt. Doch ein Beschluss des Finanzamts Oberhausen zeigt, dass es auch anders geht: Die dortige Behörde entschied im Oktober, dass der nordrhein-westfälische Landesverband der VVN-BdA als gemeinnützig anerkannt bleibt.

Als »juristisch und politisch unhaltbar« hat auch die Europäische Vereinigung von Juristinnen und Juristen für Demokratie und Menschenrechte in der Welt (EJDM) die Entscheidung der Berliner Behörde bezeichnet. Sie wies auf den »juristisch nicht unwichtigen Unterschied« zwischen der Formulierung »extremistisch« in der Abgabenordnung (AO) und der im bayerischen VS-Bericht (»linksextremistisch beeinflusst«) hin. Zugleich verlangte die EJDM eine grundlegende Reform der AO.

In den Landtagen Hessens und Sachsen-Anhalts hat die LINKE die dortigen Landesregierungen aufgefordert, sich für eine solche Reform einzusetzen. Im Wiesbadener Parlament zeigte der hessische Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) am Montag, wie sehr seine Partei noch im Denken des Kalten Krieges verharrt. Er zeigte Verständnis für die Berliner Entscheidung und begründete das mit einem Erlebnis aus seiner Jugend: Eine Klassenfahrt in die KZ-Gedenkstätte Buchenwald sei in den 1980er Jahren »nur mit Hilfe der Marburger VVN« zustande gekommen, die die Reise »aus der Staatskasse der DDR finanziert« bekommen habe. Vor Ort hätten »Geschichtsklitterer« verschwiegen, dass die Sowjetunion das Lager nach der Befreiung als Internierungslager genutzt habe.

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