Ein ewiger Kampf

Der Flüchtlingsaktivist Trésor setzt sich seit vielen Jahren für politische Solidarität ein.

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 5 Min.

Er trug ein Boot durch die Wüste. Vor neun Jahren lief Trésor, der seinen bürgerlichen Namen nicht in der Zeitung lesen will, in einem Boot aus Pappe durch die Wüste bei Nioro du Sahel, einem Ort nahe der Grenze von Mali und Mauretanien. Es sollte ein Symbol für die vielen Flüchtlingsboote sein, die bereits vor dem Arabischen Frühling auf dem Weg nach Europa im Mittelmeer und auch im Atlantik gesunken waren. Ein Symbol für die Tausenden Menschen, die ihr Leben bereits an den Grenzen der Europäischen Union verloren hatten.

»Ich hatte zwei Jahre in Algerien im Gefängnis gesessen und wurde von da vollkommen traumatisiert nach Mali abgeschoben. Dort traf ich in Bamako Patrice von der ARACEM, der sagte: ›Du musst mit auf diese Karawane kommen.‹« Beim Abendessen in einer Neuköllner Wohngemeinschaft lacht Trésor bei der Erinnerung an Patrice Boukar Zinahad. Der Aktivist der ARACEM (L’Association des Refoulés d’Afrique Centrale au Mali - Vereinigung der nach Mali Abgeschobenen aus Zentralafrika) habe ihn damals regelrecht überreden müssen, an der »Karawane für Bewegungsfreiheit und gerechte Entwicklung« teilzunehmen. Im Januar 2011 reisten etwa 400 europäische und afrikanische Aktivist*innen drei Wochen lang in Bussen von der malischen Hauptstadt Bamako zum Weltsozialforum in die senegalesische Hauptstadt Dakar. Der Großteil der Europäer*innen kam aus Deutschland, darunter Flüchtlingsaktivist*innen wie der Berliner Bruno Watara, der in den 90er Jahren aus politischen Gründen von Togo nach Deutschland fliehen musste. Auf der afrikanischen Seite lag die Organisation bei dem malischen Verein AME (Malienne des Expulsés - Abgeschobene aus Mali). Gemeinsam hatte man sich den Namen Afrique-Europe-Interact gegeben.

Trésor ist zu diesem Zeitpunkt bereits seit fünf Jahren innerafrikanischer Migrant. Nach Europa wollte der junge Kameruner eigentlich nicht, vielmehr wollte er in Algerien studieren - bis er dort im Gefängnis landete.

»Ich hatte Angst vor weißen Leuten«, beschreibt Trésor seine Eindrücke neun Jahre später. »Ich kannte nur die NGOs und Politiker, die dafür sorgen sollten, dass die Grenzen geschlossen und die Menschen in Lagern, Gefängnissen oder in den Ländern bleiben, in die sie abgeschoben wurden.« Aktivist*innen, die von offenen Grenzen und von Bewegungsfreiheit für alle Menschen sprachen, habe er bis dahin nicht getroffen, erzählt der heute 38-Jährige. Die Reise mit den Hunderten Menschen habe ihn beeindruckt, die gute Stimmung in den Bussen - »sogar bei der Fahrt über die Grenzen« - habe ihm die Angst genommen. Auch die vor Polizeikontrollen. »Es waren schwarze Leute aus Deutschland und die Aktivisten von der AME, die mir sagten: ›Hab keine Angst.‹«

Ob er sich nicht gefragt habe, was das für verrückte Leute sind? Nein, sagt Trésor, aber gestaunt habe er über die Offenheit der Weißen gegenüber dem afrikanischen Leben. Diese Erfahrung habe ihn bestärkt, sich von Mali erneut auf den Weg durch die Wüste Richtung Norden zu machen - diesmal gen Europa, zunächst über Algerien nach Tunesien. Manche der europäischen Aktivist*innen, die er ein Jahr zuvor kennengelernt hatte, traf er dort 2012 im Rahmen ihrer Kampagne »Boats for People« wieder. Zu diesem Zeitpunkt nimmt die Migration über das zentrale Mittelmeer mit den Aufständen in Syrien, Libyen, Ägypten und auch Tunesien zu. Allein der Krieg in Libyen zwingt etwa eine Million Menschen in die angrenzenden Länder Ägypten, Niger und Tunesien.

Trésor reist von Tunesien nach Marokko, eine weitere Station auf dem Weg nach Europa. Fast ein Jahr lang lebt er in den Wäldern von Nador vor der spanischen Enklave Melilla, schließlich landet er in Boukhalef bei Tanger. Immer wieder schickt er lange Mails an die europäischen Aktivist*innen, beschreibt die bittere Situation der Migrant*innen in Marokko und die Repression, die sie durch marokkanische Polizei und Küstenwache erfahren. Er selbst versucht im Jahr 2013 über ein Dutzend Mal nach Spanien zu gelangen. Ein Journalist von der »Taz« begleitet ihn bei der Vorbereitung zu einer der Überfahrten. Immer wieder sterben Menschen, die Trésor kennt, in den Gummibooten auf dem Weg nach Europa - Männer, Frauen, Kinder. Er stirbt nicht. Er überlebt und schafft den weiten Weg nach Berlin.

»Er war hier am Anfang immer unglaublich angespannt«, erinnert sich eine Aktivistin der Initiative Alarmphone an die erste Zeit des Kameruners in Berlin. Trésor nickt zustimmend, er habe zunächst große Schwierigkeiten gehabt, sich zu »stabilisieren«, wie er es nennt: »Ich kämpfe noch immer. Aber mich hat dieser Teil meines Lebens stark gemacht - die Unterstützung hier war so wichtig, weil ich vorher keine hatte.« Die politische Solidarität der Linken in Europa, so der Gründer der Initiative »Voix des migrants« (Stimme der Migrant*innen) habe ihm geholfen, der politische Aktivist zu sein, der er heute ist.

In Berlin arbeitet er zunächst in einer Fabrik, ist aber unglücklich dabei, erzählt er. Er sei »innerlich gestorben«, als er nur noch arbeiten und nicht mehr für diejenigen kämpfen konnte, von denen er weiß, dass sie die Unterstützung brauchen, die auch ihm geholfen habe: Netzwerke wie das Alarmphone, das Zehntausende Menschen in Seenot auf dem Mittelmeer an Rettungsschiffe vermittelt hat, Initiativen, die Informationen darüber verbreiten, wie in Europa Flüchtlinge um ihre Rechte kämpfen müssen.

In Berlin schließt sich Trésor 2014 dem selbstorganisierten Protest der Flüchtlinge auf dem besetzten Oranienplatz an - die Forderung nach einem Bleiberecht blieb für die meisten unerfüllt. Mit vielen, sagt er, sei er noch in Kontakt, sie seien politische Freunde. »Normale« Freundschaften kann er sich nur noch schwer vorstellen: »Ich bin so fokussiert auf politische Fragen, dass ich mich kaum auf andere Leute einlassen kann.« Es gehe ihm besser, seit er bei Zusammenkünften mit anderen Migrant*innen diskutiere - auch in Kamerun. »Afrika braucht Leute wie mich«, sagt er selbstbewusst und entschuldigt sich - er muss noch dringend wegen einer flüchtlingspolitischen Konferenz in Paris telefonieren.

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